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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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werden sie das nicht mal merken. Männer hören mir nie zu, die unterhalten sich ausschließlich mit meiner Oberweite.«
    Sie wirkte bedrückt, aber nur einen Augenblick lang.
    »Was ziehst du zu der Party an, Lucy? Es muß ewig lange her sein, daß du richtig ausgegangen bist.«
    »Ich geh nicht.«
    »Was? «
    »Das ist noch zu früh für mich.« Charlotte konnte überhaupt nicht aufhören zu lachen. Daß jemand seinen Vater verließ, der Alkoholiker war, schien in dieselbe Kategorie zu gehören, wie daß jemand im Garten auf eine Harke tritt, vollständig bekleidet ins Schwimmbecken fällt, sich mitten in der Nacht in einem Kaninchenkostüm aussperrt und die Nachbarn  – die einen ohnehin schon für verrückt halten – bitten muß, mal telefonieren zu dürfen.
    »Du Dummkopf«, brüllte sie vor Lachen. »Das klingt ja, als wärst du in Trauer.«
    »Bin ich auch«, gab ich spitz zurück.

77
    D ie Wut, die ich an dem Abend empfand, an dem ich mit Gus ausgegangen war, hatte mich aus dem Haus meines Vaters getrieben, ohne daß ich besonders darunter gelitten oder eine übermäßig intensive Gewissenserforschung betrieben hätte. Ich zog wieder bei Karen und Charlotte ein und wartete darauf, erneut mein gewohntes Leben aufzunehmen.
    Ich weiß nicht, was mich hatte annehmen lassen, ich würde so leicht davonkommen. Es dauerte nicht einmal einen Tag, bis mich der gedungene Mörder Schuldgefühl mitsamt seinen Spießgesellen aufgespürt hatte. Sie bearbeiteten mich gründlich und nahmen mich jeden Tag erneut in die Mangel, bis man mich fast nicht wiedererkennen konnte, so hatten mich Kummer, Wut und Scham zugerichtet.
    Es kam mir vor, als wäre mein Vater gestorben. In gewisser Hinsicht stimmte das – der Mann, den ich für meinen Vater gehalten hatte, existierte nicht mehr. Außer in meiner Vorstellung hatte es ihn nie gegeben. Aber ich konnte nicht um ihn trauern, weil er noch lebte. Schlimmer noch, er lebte, und ich hatte mich entschlossen, ihn zu verlassen. Damit hatte ich auf mein Recht verzichtet, ihn zu betrauern.
    Daniel verhielt sich einzigartig. Er hatte gesagt, ich solle mir um nichts Sorgen machen, und erklärt, er werde die Dinge regeln. Das aber konnte ich nicht zulassen. Es ging um meine Angehörigen und meine Schwierigkeiten, und ich mußte selbst damit fertig werden. Als allererstes brachte ich Chris und Peter dazu, nicht länger den Kopf in den Sand zu stecken. Zur Ehre der beiden faulen Kerle muß ich sagen, daß sie versprachen, sich gemeinsam mit mir um Dad zu kümmern.
    Daniel hatte vorgeschlagen, wir sollten Verbindung mit den verschiedenen sozialen Diensten aufnehmen. Früher wäre ich überzeugt gewesen, meinem Vater keine größere Schande bereiten zu können, aber darüber war ich inzwischen hinweg.
    Also rief ich eine ganze Reihe sozialer Hilfsdienste an. Beim ersten teilte man mir mit, ich müßte einen anderen anrufen, und dort erfuhr ich, zuständig sei der, den ich zuerst angerufen hatte. Als ich dort erneut anrief, hieß es, die Vorschriften hätten sich geändert und deshalb seien die Leute beim zweiten Dienst zuständig.
    Ich brachte etwa eine Million Stunden der Zeit meines Arbeitgebers am Telefon zu und hörte immer wieder den Satz »Dafür sind wir nicht zuständig«.
    Schließlich erklärte man sich bereit, den Fall als vorrangig einzustufen, weil mein Vater eine Gefahr für sich selbst und andere bedeutete und wies ihm eine Sozialarbeiterin und eine Haushaltshilfe zu. Ich fühlte mich elend.
    »Ihm geht es gut«, tröstete mich Daniel. »Man kümmert sich um ihn.«
    »Aber nicht ich.« Das Gefühl, versagt zu haben, zerfleischte mich.
    »Das ist auch nicht deine Aufgabe«, bemerkte er freundlich.
    »Schon. Aber...« sagte ich kläglich.
     
    Es war Januar. Alle waren pleite, und alle waren deprimiert. Die Leute gingen nicht viel aus, und ich überhaupt nicht. Außer mit Daniel.
    Ständig mußte ich an meinen Vater denken und versuchte vor mir selbst zu rechtfertigen, was ich getan hatte.
    Es war zum Schluß auf die Entscheidung hinausgelaufen ›er oder ich‹, fand ich. Einer von uns beiden konnte mich haben, aber es gab nicht genug von mir, als daß ich mich zwischen zweien hätte aufteilen können. So entschied ich mich für mich selbst.
    Es war mir unangenehm, auf Kosten eines anderen zu überleben. Dabei war kein Platz für edle Empfindungen wie Liebe, Ehrgefühl oder Anteilnahme am Los des Mitmenschen – in diesem Fall Dad – gewesen. Es ging um mich, um mich

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