Lucy Sullivan wird heiraten
hob die Brauen, und sie sah mich an und hob die ihren.
Während sich der graue Januar dahinschleppte, blieb mein gesellschaftliches Leben dürftig. Ich erneuerte meine enge Beziehung zu Adrian in der Videothek. Ich versuchte, mir When a Man Loves a Woman auszuleihen und kam statt dessen mit Krzysztof Kieslowskis Die zwei Leben der Veronika nach Hause. Ich wollte Grüße aus Hollywood haben und bekam irgendwie Der Postmann (in der italienischen Originalfassung ohne Untertitel). Ich bat Adrian um Leaving Las Vegas, doch gab er mir statt dessen eine Kassette mit dem Titel Eine sonderbare Liebe, die ich mir nicht einmal ansah.
Ich brauchte tatsächlich nicht auszugehen, denn in meinem Büro spielte sich unmittelbar vor meiner Nase eine Seifenoper ab. Meredia und Jed waren einander sehr nahe gekommen. Wirklich außerordentlich nahe. Sie verließen das Büro immer zur selben Zeit – das allerdings war keine besondere Überraschung, denn alle Angestellten im Gebäude sprangen um Schlag fünf von ihrem Schreibtisch auf. Auffälliger war da schon, daß sie immer gleichzeitig eintrafen. Außerdem turtelten sie ständig und verhielten sich auch sonst ganz wie ein Pärchen. Das war ein Kichern und Schäkern, ein ständiges Erröten und albernes Getue – Jed schien es schwer erwischt zu haben. Obendrein hatten sie ein kleines Spielchen, an dem sich außer ihnen niemand beteiligen durfte und bei dem Meredia in hohem Bogen quer durch den Raum Weintrauben, Drops oder Karamelkugeln mit Schokoladenüberzug zu Jed hinüberwarf, der sie mit dem Mund aufzufangen versuchte. Anschließend schlug er die Arme zusammen und gab Geräusche wie ein Seehund von sich. Ich beneidete die beiden um ihr junges Glück.
Das Schauspiel, das sie mir boten, entzückte mich, denn von Megan waren keine Liebesszenen mehr zu erwarten. Sie hatte sich verändert und sah überhaupt nicht mehr wie Megan aus. Das ließ sich allein schon daran erkennen, daß die Zahl der jungen Männer, die in unserem Büro vorbeischauten, deutlich abgenommen hatte. Es war jetzt sogar möglich, den Raum zu verlassen, ohne daß wir drängen und stoßen und bitten mußten: »Dürfte ich mal durch?« Erst konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, was sich bei ihr geändert hatte, dann aber kam mir die Erleuchtung. Natürlich! Ihre Bräune war dahin. Der Winter hatte Megan zu guter Letzt besiegt und sie ihrer von innen heraus strahlenden goldenen Leuchtkraft beraubt und aus einer herrlichen Göttin eine gewöhnliche stämmige junge Frau gemacht, deren Haar bisweilen fettig glänzte.
Aber das Nachlassen ihrer Anziehungskraft lag nicht nur daran, daß sie nicht mehr so strahlend aussah. Sie war auch nicht mehr so munter und resolut wie einst. Sie hatte offenbar den Versuch aufgegeben, hinter Meredias richtigen Namen zu kommen, war oft mürrisch und kurz angebunden. Sie machte mir Sorgen.
Das war eine ziemliche Leistung, wenn man bedenkt, wieviel ich damit zu tun hatte, mir selbst leid zu tun, aber ich sorgte mich wirklich um sie.
Ich versuchte festzustellen, was ihr fehlte, und das keineswegs aus krankhafter Neugier, aber ohne Ergebnis. Als ich sie eines Tages zögernd fragte, ob ihr Australien fehle, drehte sie sich zu mir um und blaffte mich an: »Schön, Lucy, ich hab Heimweh! Und jetzt hör auf, mich auszufragen, was mir fehlt.«
Ich konnte mir vorstellen, wie sie sich fühlte – ich war mein ganzes Leben lang heimwehkrank gewesen. Der einzige Unterschied zwischen uns beiden bestand darin, daß ich nicht wußte, was ein Zuhause war, oder wo es sich befand.
Sobald ich begriff, daß Megans Glück gewissermaßen mit Solarantrieb funktionierte, sorgte ich dafür, daß sie Sonne tanken konnte. Zwar konnte ich ihr keinen Flug nach Australien schenken, wohl aber einen Gutschein für das Sonnenstudio um die Ecke. Als ich ihr den gab, starrte sie ihn entsetzt an, als wäre es ihr Todesurteil und stieß schließlich hervor: »Nein, Lucy, das geht nicht.«
Danach machte ich mir wirklich Sorgen um sie – Megan war nicht knauserig, aber Geld und Geldeswert behandelte sie mit großer Hochachtung, vor allem, wenn es sie selbst nichts kostete. Ganz gleich, wie sehr ich mich bemühte, sie bestand darauf, daß das Geschenk viel zu großzügig sei und sie den Gutschein keinesfalls annehmen könne.
Schließlich ging ich selbst hin, und alles, was für mich dabei herauskam, war, daß ich acht Millionen mehr Sommersprossen bekam als vorher.
78
D er einzige Mensch, mit dem ich
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