Lucy Sullivan wird heiraten
schrecklich langweilig für dich sein.«
»Ist schon in Ordnung, Lucy.« Er grinste. »Ich bin wie ein Goldfisch und hab ein ausgesprochen kurzes Gedächtnis. Jedesmal, wenn ich es höre, ist es, als wär es das erste Mal.«
»Bist du sicher?«, fragte ich unbeholfen.
»Ganz sicher«, sagte er munter. »Erzähl mir noch mal die Sache mit dem imaginären Abkommen, das du mit deinem Vater getroffen hast.« Rasch sah ich zu ihm hin, um zu erkennen, ob er sich über mich lustig machte, aber offensichtlich nicht.
»Nun denn«, sagte ich schwerfällig und versuchte (wieder einmal), meine Empfindungen in die richtigen Worte zu fassen. »Es kommt mir vor, als hätte ich mit meinem Vater ein Abkommen getroffen.«
»Was für ein Abkommen?« fragte Daniel im selben Tonfall, wie der ernsthafte Clown im Zirkus den lustigen Clown fragt: »Aber wo ist er denn?« Wir waren erstklassig aufeinander eingespielt.
»Ich hab alles im Kopf«, sagte ich. »Aber es ist, wie ich es gesagt habe, ›Weißt du, Dad, mir ist bewußt, daß ich dich verlassen hab, aber mein Leben ist nicht lebenswert, denn ich hasse mich so sehr, weil ich mich statt deiner gerettet hab. Wir sind also quitt.‹ Ergibt das einen Sinn, Dan?«
»Absolut«, stimmte er zum x-ten Mal zu.
Überrascht erkannte ich, wie sehr ich Daniel schätzte. Er war während der ganzen Krise mit meinem Vater wahrhaft gut zu mir gewesen.
»Du bist ein toller Kerl«, sagte ich eines Abends, als ich Atem geholt hatte.
»Bin ich nicht. Ich täte es für keinen Menschen außer dir.« Er lächelte.
»Trotzdem darf ich nicht zu abhängig von dir werden«, fügte ich noch schnell hinzu. Das hatte ich schon mindestens fünf Minuten nicht gesagt, und sein Lächeln war mir auf die Nerven gegangen. Ich mußte es neutralisieren. »Ich befinde mich in einer psychisch schwierigen Situation.«
»Weiß ich, Lucy.«
»Ich versuche über den Verlust meines Vaters hinwegzukommen.«
»Ja, Lucy.«
Am liebsten hätte ich gehabt, daß dieses Leben im Niemandsland für alle Zeiten so weitergegangen wäre, in diesem Zwischenreich, in dem ich außer zu meinem Therapeuten – also Daniel – zu niemandem eine wirkliche Beziehung hatte. Als er aber eines Tages fand, daß er genug gehabt hatte, drohte das die schöne sichere Welt zu zerstören, die ich mir da geschaffen hatte. Es kam ohne Vorwarnung.
Als wir uns eines Abends trafen und ich meinen üblichen Spruch losließ: »Hallo, Daniel, es ist wunderbar, dich zu sehen, weil du in meinem Leben eine Lücke füllst«, nahm er mich bei der Hand und sagte sehr freundlich, »Lucy, findest du nicht, daß das allmählich aufhören müßte?«
»Was müßte aufhören?« fragte ich. Es kam mir vor, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. »Wovon redest du?«
»Ich will dich wirklich nicht aufregen, aber ich hab nachgedacht, und ich denke, es ist an der Zeit, daß du dich bemühen solltest, darüber wegzukommen«, sagte er noch freundlicher. Der Ausdruck meines Gesichts näherte sich unterdessen dem Ende der Heimsuchungsskala, an dem die Leichenstarre liegt.
»Möglicherweise hätte ich mit dir nicht so nachsichtig sein dürfen«, sagte er. Er sah elend aus. »Vielleicht war ich sogar schlecht für dich.«
»Nein, nein«, beeilte ich mich zu beteuern. »Du hast mir gutgetan, sogar sehr gut. «
»Lucy, du solltest meiner Ansicht nach allmählich wieder unter Leute gehen.« Obwohl er das in herzlichem Ton sagte, erschreckte es mich.
»Aber ich bin doch unter Leuten.« Ängstlich setzte ich mich zur Wehr. Ich spürte, daß sich meine Zeit im sicheren Hafen ihrem Ende zuneigte.
»Ich meine, richtig unter Leute, andere Leute«, sagte Daniel. »Wann willst du wieder anfangen, richtig zu leben? Auszugehen, auf Parties zum Beispiel?«
»Wenn ich wegen Dad kein schlechtes Gewissen mehr hab.« Ich musterte ihn voll Argwohn. »Daniel, von dir erwarte ich, daß du mich verstehst. «
»Du kannst also nicht leben, weil du deinem Vater gegenüber ein schlechtes Gewissen hast?«
»Genau!« Ich hoffte, daß das Thema damit erledigt war. Aber das war es allem Anschein nach nicht. Daniel sagte: »Ein schlechtes Gewissen verschwindet nicht von selbst. Man muß was dazu tun.«
O nein! Das wollte ich nicht hören. Ich beschloß, ihn mit meinem weiblichen Charme umzustimmen und warf ihm einen koketten Blick aus gesenkten Augen zu.
»Sieh mich bitte nicht so an«, sagte er. »Es nützt dir nichts.«
»Leck mich«, knurrte ich. Dann schwieg ich
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