Lucy Sullivan wird heiraten
da fiel mir etwas ein.
»Bitte nein«, sagte ich beunruhigt. »Bitte nein. Das darf nicht sein.«
»Was?« fragten Megan und Meredia wie aus einem Munde.
»Sagt mir bitte nicht, daß er Dicks jüngerer Bruder mit den langen blonden Haaren ist, der sich die letzten zwanzig Jahre in fernen Ländern rumgetrieben hat – vielleicht in Kenia, Birma oder was weiß ich wo – ungefähr so wie in Die letzten Tage des Radscha, und jetzt ist er braungebrannt zurückgekehrt, trägt einen weißen Leinenanzug, sitzt in einem Korbstuhl, trinkt Gin und wirft Hetty einen Schlafzimmerblick zu. Das könnte ich einfach nicht ertragen! Das wäre ja nur noch klischeehaft.«
»Na hör mal, Lucy«, tadelte mich Meredia. »Du hast eine viel zu blühende Phantasie. Nein, in die Richtung geht es überhaupt nicht.«
»Hat er ihr auch kein Elfenbeinarmband geschenkt?«
»Jedenfalls hat sie nichts davon gesagt«, sagte Meredia mit Zweifel in der Stimme.
»Puh.« Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Gut.«
»Es ist Dicks älterer Bruder«, sagte Megan.
»Gut«, sagte ich noch mal. »Das ist wenigstens schon mal gegen das Klischee.«
»Und sie hatte ihn noch nie gesehen, weil sich die Familie zerstritten hatte«, fuhr Meredia fort. »Dick und Roger haben jahrelang nicht miteinander gesprochen. Inzwischen aber sind sie die besten Freunde. Na ja, vielleicht auch nicht, jetzt, wo Hetty...«
Ich sah die beiden an und ihre glücklichen, erregten Gesichter.
»Du sitzt ja da wie ein Trauerkloß«, sagte Megan. »Was stimmt eigentlich nicht mit dir?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Irgendwie paßt das alles nicht.«
»Tut es aber«, jubelte Meredia. »Die Wahrsagerin hat gesagt, daß sie ihrer großen Liebe begegnet, und jetzt ist es passiert!«
»Aber irgendwas mit Hetty und Dick stimmt nicht«, sagte ich verzweifelt. »Das konnte man doch auf der Rückfahrt von Mrs. Nolan sehen, als sie so aus der Fassung war.«
Schweigend und mit verdrießlichem Gesicht saßen Meredia und Megan da.
»Statt dagegen was zu unternehmen, glaubt sie lieber, was sich eine hergelaufene Wahrsagerin aus den Fingern saugt. Diese Frau ist ein Scharlatan und...««
»Ist sie nicht«, fiel mir Meredia erbost ins Wort. »Ich hab jedenfalls nichts davon gesehen, daß sie ihre Farbe geändert hätte.«
»Du meinst ein Chamäleon«, erklärte ich gereizt. »Jedenfalls hat sie zu Hetty gesagt, sie würde ihrer großen Liebe begegnen, und die geht her und fällt auf den erstbesten Kerl rein, der ihr über den Weg läuft. Dabei hat er nicht mal ’nen Leinenanzug oder ’nen Korbsessel, wie es sich gehört. Dann brennt sie auch noch mit ihm durch, ohne eine Sekunde lang an die Konsequenzen zu denken!«
»Könnte sogar sein, daß sie mit Ivor dem Schrecklichen ein bißchen geflirtet hat oder was in der Richtung«, fügte ich hinzu, »weil es ihr so dreckig gegangen ist.« Beide sahen bleich aus und hatten kalten Schweiß auf der Stirn, und so ließ ich eine Pause eintreten – für den Fall, daß sich eine von ihnen übergeben mußte.
Nach einer Weile fuhr ich fort: »Es war schon in Ordnung, daß wir uns die Karten haben legen lassen, aber ihr hättet das nicht ernst nehmen dürfen. Es sollte doch nur ein Spaß sein und nicht etwa eine Lösung bei wirklichen Schwierigkeiten.« Beide schwiegen.
»Versteht ihr nicht?« fragte ich, aber sie wichen meinem Blick aus und fixierten ihre Schuhspitzen. »Das ist nicht das Richtige für Hetty.«
»Woher willst du das wissen?« fragte Meredia. »Warum hast du kein Vertrauen zu Mrs. Nolan? Warum glaubst du ihr nicht?«
»Weil Hetty wirklich Schwierigkeiten in ihrer Ehe hat«, sagte ich. »Die löst sie nicht dadurch, daß sie sich einredet, sie wäre der großen Liebe begegnet. Das ist Flucht vor der Wirklichkeit.«
»Du hast ja nur Angst«, stieß Megan plötzlich heftig hervor. Es klang wütend, sie hielt dabei den Kopf schief, und ihr Gesicht war von Eifer gerötet.
Mit ihren Abschürfungen und dem Verband sah sie aus wie jemand aus einer australischen Seifenoper.
»Wovor soll ich Angst haben?« fragte ich überrascht.
»Du willst nicht wahrhaben, daß die Voraussagen für mich, Meredia und Hetty eingetroffen sind, weil du sonst einsehen müßtest, daß sich auch die erfüllt, die sie dir gemacht hat.«
»Was ist bloß in dich gefahren, Megan?« sagte ich verzweifelt. »Ich appelliere an dich als diejenige, die den klarsten Verstand hier hat. Die Stimme der Vernunft.«
Meredia plusterte sich vor
Weitere Kostenlose Bücher