Lucy Sullivan wird heiraten
überrascht.
»Chris«, brüllte ich. »Mein Bruder Chris?«
»Ja, wieso?« fragte der arme Daniel. »Sollte es etwa ein Geheimnis bleiben oder was?«
»Daniel«, sagte ich, »ich kann dir das jetzt nicht im einzelnen erklären, aber ich ruf dich an, sobald es geht. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte er. »Und was ich vorhin gesagt hab, war nur ein Scherz. In Wirklichkeit bin ich über alle Maßen glückl...«
Ich legte auf. Das Telefon klingelte schon wieder. Ich ließ es klingeln.
»Eine von euch beiden sollte rangehen«, sagte ich wütend. Meredia nahm ab.
»Hallo«, sagte sie nervös.
»Nein«, sagte sie mit einem furchtsamen Blick auf mich, »sie kann im Augenblick nicht an den Apparat kommen.«
Eine Pause.
»Ich sag’s ihr«, sagte sie und legte auf.
»Wer war das?« fragte ich. Ich kam mir vor wie in einem bösen Traum.
»Die Jungs vom Lager. Sie wollen dir einen ausgeben und mit dir feiern gehen.«
»Wie weit habt ihr das eigentlich getrieben?« fragte ich. In meinem Kopf drehte sich alles. »Habt ihr allen Abteilungen eine E-Mail geschickt? Oder nur an ein paar hundert meiner engsten Freunde? Wieso weiß es zum Beispiel mein Bruder?«
»Dein Bruder?« fragte Megan, die einen leicht verstörten Eindruck machte.
Meredia schluckte. »Wir haben keinem Menschen eine E-Mail geschickt, Lucy. Ehrenwort.«
»Wirklich nicht«, stimmte Megan mit einem Lachen zu, von dem ich in ihrem ureigensten Interesse hoffte, daß es ein Lachen der Erleichterung war. »Wir haben es kaum jemand gesagt. Nur Caroline. Dann noch Blandina und...«
»Blandina!« unterbrach ich sie scharf. »Ihr habt es Blandina gesagt? In dem Fall brauchen wir keine verdammte E-Mail, dann ist es auch so schon überall herum. Bestimmt weiß man es auf dem Mars. Ich möchte wetten, daß es inzwischen auch meine Mutter weiß.«
Blandina war in unserer Firma für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Gerüchte waren ihr Lebenselixier, die Luft, die sie atmete.
Mein Telefon klingelte wieder.
»Da geht jetzt besser eine von euch ran«, sagte ich drohend. »Wenn mir wieder jemand zu meiner bevorstehenden Hochzeit gratulieren möchte, kann ich für die Folgen nicht garantieren.«
Megan nahm ab. »Hallo«, sagte sie, mit einem nervösen Tremolo in der Stimme.
»Für dich«, sagte sie und warf mir den Hörer zu, als wäre er rotglühend.
»Megan«, zischte ich ihr zu und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, die Hand auf die Sprechmuschel zu legen. »Ich will mit niemand reden und jetzt auch nicht.«
»Das wäre aber besser«, sagte sie mit kläglicher Stimme. »Es ist deine Mutter.«
12
F lehend sah ich Megan, das Telefon und schließlich wieder Megan an.
Der Anruf meiner Mutter konnte nichts Gutes bedeuten. Sicher war nicht schon wieder jemand gestorben, und einfach nur um zu plaudern rief sie nicht an. Wir hatten nie die Art von Verhältnis gehabt, bei der es hieß: »Kauf’s ruhig; ich sag deinem Vater auch nichts davon; niemand würde denken, daß du schon ’ne erwachsene Tochter hast; es steht dir besser als mir; kann ich ’n paar Tropfen von deinem Parfüm haben?; du hast ’ne bessere Figur als damals, wie du geheiratet hast; laß uns noch ’n paar Gin Tonic trinken, schließlich bist du meine beste Freundin.« Es konnte also nur bedeuten, daß meine Mutter irgendwie von dem Gerücht über meine Heiraterei Wind bekommen hatte. Mit ihr zu sprechen ging mir ziemlich gegen den Strich. Offen gestanden hatte ich Angst vor ihr.
»Sag ihr, ich bin nicht da«, zischte ich Megan verzweifelt zu. Im selben Augenblick ertönte aus dem Hörer etwas, das so klang, als zankten sich zwei Papageien. In Wirklichkeit war es meine Mutter. Ich nahm den Hörer.
»Wer ist tot?« fragte ich, um Zeit zu schinden.
»Du«, brüllte sie. So geistreich war sie sonst nicht.
»Ha, ha«, gab ich nervös zurück.
»Lucy Carmel Sullivan«, sagte sie mit wütender Stimme. »Gerade hat mich Christopher Patrick angerufen und mir gesagt, daß du heiraten willst. Heiraten!«
»Mum...«
»Ist es nicht reizend, daß deine eigene Mutter so was aus dem Mund anderer Leute erfahren muß?«
»Mum...«
»Natürlich mußte ich so tun, als wüßte ich es längst. Aber mir war schon immer klar, daß dieser Tag kommen würde, Lucy. Von klein auf warst du pflichtvergessen und zu nichts nutze. Bei dir konnte man sich auf nichts verlassen als darauf, daß du nichts zustande bringen würdest. Für eine so überstürzte Heirat gibt es bei einer jungen Frau nur einen
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