Lucy Sullivan wird heiraten
Grund, nämlich wenn sie so dämlich war, sich ein Kind anhängen zu lassen. Dabei hast du noch Glück, daß der Kerl zu dir halten will, wenn auch der Himmel wissen mag, was für ein Schafskopf das schon wieder ist...«
Ich wußte nicht, was ich darauf sagen sollte, denn es war typisch meine Mutter, daß sie an allem, was ich tat, etwas auszusetzen hatte. So oft schon hatte ich ihre Mißbilligung und Enttäuschung ertragen müssen, daß es mich nicht mehr wirklich rührte.
Seit Jahren hatte ich jede Hoffnung aufgegeben, sie könnte meine Freunde akzeptieren, meine Wohnung schön finden, von meiner Arbeit beeindruckt sein oder sagen, daß ihr meine Mitbewohnerinnen gefielen.
»Du bist genau wie dein Vater«, sagte sie bitter. Die arme Mum, was auch immer ich tat, nichts war ihr je gut genug.
Als ich nach der Sekretärinnen-Ausbildung bei der Londoner Niederlassung eines internationalen Unternehmens untergekommen war, hatte sie mich am ersten Arbeitstag angerufen – nicht etwa, um mich zu meiner Anstellung zu beglückwünschen, sondern um mir mitzuteilen, daß die Aktien der Firma um zehn Punkte gefallen waren.
»Was soll der Unfug, Mum? Hör mir lieber zu«, fiel ich ihr lautstark ins Wort. »Ich heirate nicht.«
»Aha. Lieber willst du mir die Schande eines unehelichen Enkels antun«, klagte sie, nach wie vor verärgert. »Und wie kommst du dazu, mich zu beschimpfen?«
»Mum, ich bin nicht schwanger, und ich habe nicht die Absicht zu heiraten«, sagte ich munter. Eine verwirrte Pause trat ein.
»Es ist ein Jux.« Ich bemühte mich, einen liebenswürdigeren Klang in meine Stimme zu legen.
»So, ein blöder Jux. Ist ja reizend«, schnaubte sie, wieder in ihrem Element. »Wenn du eines Tages heimkommst und mir sagst, du hast einen anständigen Jungen, der dich heiraten will, ist das ein Jux. Dann werde ich aber lachen, bis mir die Tränen kommen.«
Zu meiner Überraschung war ich mit einem Mal richtig wütend. Ohne jeden Anlaß wollte ich sie anschreien, daß ich nie wieder nach Hause kommen und es auf keinen Fall ihr sagen würde, sollte ich die Absicht haben zu heiraten, ja, daß ich sie nicht einmal zur Hochzeit einladen würde.
Am komischsten war natürlich daran, daß ich es mir in dem unwahrscheinlichen Fall, daß ich je einen anständigen Mann fand, der eine Arbeit, einen festen Wohnsitz und weder Ex-Ehefrauen noch Vorstrafen hatte, auf keinen Fall würde verkneifen können, ihn meiner Mutter vorzuführen und sie lässig aufzufordern, in aller Ruhe festzustellen, was sie an ihm auszusetzen habe. Obwohl ich sie oft haßte, gab es in mir nach wie vor etwas, das von ihr gern getätschelt und gelobt werden wollte: »Lucy, braves Mädchen.«
»Ist Dad da?« fragte ich.
»Selbstverständlich ist dein heißgeliebter Vater hier«, sagte sie bitter. »Wo sollte er sonst sein? Etwa in der Arbeit?«
»Könntest du ihn mir kurz geben?«
Wenn ich einige Augenblicke mit ihm redete, würde ich mich besser fühlen. Zumindest konnte ich mich damit trösten, daß ich kein hoffnungsloser Fall war, denn einer von beiden liebte mich. Dad verstand es immer prächtig, mich aufzumuntern und sich über Mum lustig zu machen.
»Das wird nicht gehen«, sagte sie hart.
»Warum nicht?«
»Denk mal nach, Lucy«, sagte sie müde. »Gestern ist seine Stütze gekommen. Was glaubst du wohl, in was für ’nem Zustand er da ist?«
»Ich verstehe«, sagte ich, »er schläft.«
»Von wegen schlafen«, knurrte sie. »Im Koma liegt er. Und zwar mehr oder weniger ununterbrochen seit vierundzwanzig Stunden. In unserer Küche sieht es aus wie in einem verdammten Flaschencontainer.«
Ich sagte nichts. Für meine Mutter, die keinen Tropfen Alkohol anrührte, war jeder, der gelegentlich einen Schluck trank, automatisch ein Trinker. Wenn man sie hörte, hätte man glauben können, Dad sei der größte Säufer aller Zeiten.
»Du heiratest also nicht?« fragte sie.
»Nein.«
»Heißt das, du hast das ganze Affentheater für nichts und wieder nichts aufgeführt?«
»Aber...«
»Ich muß jetzt aufhören«, sagte sie, bevor mir etwas Bissiges darauf einfiel. »Ich kann nicht den ganzen Tag hier rumstehen und quatschen. Schön, wenn jemand Zeit dazu hat.«
Zorn stieg in mir auf. Immerhin hatte sie mich angerufen, doch bevor ich sie anbrüllen konnte, legte sie wieder los. »Hab ich dir schon gesagt, daß ich jetzt in der Reinigung arbeite?« fragte sie übergangslos mit versöhnlicher Stimme. »Drei Nachmittage die Woche.«
»Sieh
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