Lucy Sullivan wird heiraten
als Verführerin auftrat, schien ihr Haar um einige Schattierungen blonder zu werden und ihr Busen sich um mindestens eine Nummer zu vergrößern.
Diese beiden Wesenszüge zur Deckung zu bringen fiel ihr ungemein schwer. Wenn sie wieder einmal die Rolle der vollbusigen blonden Verführerin gespielt hatte, machte sie sich tagelang die bittersten Vorwürfe. Dann waren schlechtes Gewissen, Selbsthaß, Angst vor Vergeltung sowie Abscheu vor sich und ihren Taten ihre ständigen Begleiter. In solchen Zeiten nahm sie viel zu viele heiße Bäder.
Erschwerend kam hinzu, daß sie blond, vollbusig und nicht übermäßig intelligent war, womit sie allerlei Vorurteile bestätigte. Junge Frauen wie sie verschafften Blondinen den Ruf, den sie hatten. Ich selbst mochte sie wirklich gern, denn sie war liebenswürdig und eine angenehme Mitbewohnerin.
»Aber jetzt mal Schluß mit Charlotte. Sag mir was über dich«, forderte mich Karen schadenfroh auf. »Was für eine Geschichte ist das mit deinem Heiraten und so weiter.«
»Darüber möchte ich nicht sprechen!«
»Warum nicht?«
»Mir ist nicht danach.«
»Das sagst du immer.«
»Tut mir leid.«
»Bitte.«
»Nein.«
»Bitte.«
»Na schön. Aber du darfst mich nicht auslachen und mich auch nicht bemitleiden.«
Hingerissen lauschte Karen, während ich ihr von unserer Fahrt zu Mrs. Nolan und deren Voraussagen berichtete, ihr erzählte, wie Hetty plötzlich mit Dicks Bruder durchgebrannt war, nachdem Meredia in den Besitz von sieben Pfund fünfzig gelangt war und Megan sich eine aufgeschlagene Lippe eingehandelt hatte, und wie beide aller Welt weisgemacht hatten, ich würde heiraten.
»Großer Gott«, keuchte sie. »Wie schrecklich. Und wie peinlich.«
»Das kannst du wohl sagen.«
»Ärgerst du dich?«
»Ein bißchen schon«, gab ich zögernd zu.
»Du solltest das Meredia auf keinen Fall durchgehen lassen. Du mußt sie umbringen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß Megan dabei mitgemacht hat. Sie hat auf mich immer so normal gewirkt.«
»Ich weiß.«
»Es muß eine Art Massenhysterie gewesen sein«, vermutete Karen.
»Was für eine andere Möglichkeit gäbe es bei einem Brocken wie Meredia?« fragte ich. Sie lachte und wurde dann von einem Hustenanfall geschüttelt.
Charlotte kam in einem schweren unförmigen rosa Strickkleid mit Rollkragen herein, das ihr bis zu den Knöcheln reichte – ihre Auffassung von härenem Büßerhemd.
»Ach, Lucy«, jammerte sie, brach in Tränen aus und fiel mir um den Hals.
Ich umarmte sie, so gut ich konnte – immerhin muß man bedenken, daß sie zwanzig Zentimeter größer war als ich.
»Ich schäme mich so«, schluchzte sie. »Ich verabscheue mich. Am liebsten wäre ich tot.«
»Ist doch nicht so schlimm«, sagte ich mit oft geübter Geläufigkeit. »Dir geht es bestimmt bald besser. Denk dran, daß du gestern abend viel getrunken hast. Du weißt ja, daß Alkohol Depressionen auslöst, da kann es gar nicht ausbleiben, daß du dich heute deprimiert fühlst.«
»Ehrlich?« fragte sie mit einem Blick voller Hoffnung.
»Bestimmt.«
»Ach, Lucy, du bist so lieb. Du findest immer die richtigen Worte, wenn ich mich elend fühle.«
Das war kein Wunder. Ich hatte so viel Erfahrung aus erster Hand, daß es ungehörig gewesen wäre, sie nicht von dem profitieren zu lassen, was ich unter so großen Mühen gelernt hatte.
»Ich werde nie wieder was trinken«, versprach sie. Ich sagte nichts.
»Nie wieder.« Ich betrachtete meine Fingernägel.
»Zumindest keinen Tequila«, sagte sie mit Nachdruck. Ich sah aus dem Fenster.
»Ich werde mich an Wein halten.« Ich widmete meine ganze Aufmerksamkeit dem Fernseher (dabei war er ausgeschaltet).
»Und zwischen zwei Gläsern trinke ich Mineralwasser.« Ich strich ein Kissen glatt.
»Und höchstens vier Gläser Wein an einem Abend.« Wieder betrachtete ich meine Fingernägel.
»Na ja, vielleicht sechs.« Jetzt war wieder der Blick aus dem Fenster an der Reihe.
»Je nachdem, wie groß die Gläser sind.« Dann wieder der Blick zum Fernseher.
»Und keinesfalls mehr als vierzehn pro Woche.« So ging es weiter, bis sie schließlich zu dem Ergebnis gekommen war, daß eine Flasche Tequila für eine Nacht nicht zuviel war. Ich hatte es schon oft gehört.
»Lucy, ich habe mich schrecklich aufgeführt«, vertraute sie mir an. »Ich hab mir die Bluse ausgezogen und bin im BH herumgetanzt.«
»Nur im BH?« fragte ich ernsthaft.
»Ja.«
»Hattest du keinen Slip an?«
»Natürlich hatte ich
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