Lucy Sullivan wird heiraten
sollte. Darauf würde es wohl hinauslaufen, denn ich dachte nicht im Traum daran, ihn auszuziehen. Ich wollte nicht in seiner Unterwäsche herumfuhrwerken und verstohlen ausspähen, was sie enthielt.
Da ich nicht so recht wußte, was ich tun sollte, machte ich mich zum Schlafengehen fertig und zog meinen Schlafanzug an. Auf verführerische Negligés legte Gus bestimmt keinen Wert, ganz davon abgesehen, daß ich derlei gar nicht besaß. Wahrscheinlich würde ihn ein solches Negligé eher einschüchtern als in Versuchung führen. Doch man konnte nie wissen...
Dann putzte ich mir selbstverständlich die Zähne, und zwar so gründlich, daß mein Zahnfleisch zu bluten anfing. Ich wußte, das es nichts Wichtigeres gab als Zähneputzen, wenn man das Bett mit einem fremden Mann teilte – jedenfalls einschlägigen Artikeln in Frauenzeitschriften und meiner früheren Erfahrung nach. Zwar war es ein wenig traurig, daß ein Mann, der eine Frau ausreichend gern hatte, daß er es mitten in der Nacht mit ihr trieb, am nächsten Morgen das Haus fluchtartig verlassen würde, wenn sie keinen frischen und reinen Atem hatte, aber so war das nun mal. Daß es mir nicht paßte, würde nichts daran ändern.
Statt mich abzuschminken, legte ich noch mehr Make-up auf. Wenn Gus am nächsten Morgen erwachte, wollte ich ihm einen erfreulichen Anblick bieten. Außerdem könnte das zusätzliche Make-up ja vielleicht sogar einen Ausgleich für sein Nüchternsein schaffen. Dann legte ich mich neben ihn. Im Schlaf sah er richtig niedlich aus.
Ich lag da und ließ mir die Vorgänge des Abends erneut durch den Kopf gehen, während ich in die Dunkelheit starrte. Ich weiß nicht, ob es Aufregung, Vorfreude oder Enttäuschung war, auf jeden Fall konnte ich einfach nicht einschlafen.
Nach einer Weile ging die Wohnungstür und ich hörte außer Karens und Charlottes Stimme auch die eines Mannes. Tee wurde gemacht, und außer Fetzen leiser Unterhaltung drang unterdrücktes Gelächter zu mir her. Es ging weit friedlicher zu als in der vorigen Nacht – kein Meine Lieder – meine Träume, keine Möbelstücke fielen um, kein lautes und heiseres Gelächter war zu hören.
Nachdem ich ewig lange im Dunkeln gelegen hatte, beschloß ich, aufzustehen und nachzusehen, was es draußen gab. Ich fühlte mich ein wenig ausgeschlossen, aber das war nichts Neues. Da ich Gus nicht stören wollte, schob ich mich Zentimeter für Zentimeter vom Bett, verließ das Zimmer auf Zehenspitzen und stieß, als ich rückwärts auf den Flur trat und die Tür leise hinter mir ins Schloß zog, gegen etwas Großes und Dunkles, das normalerweise nicht unmittelbar vor meiner Zimmertür stand.
Vor Schreck machte ich einen Satz und stieß verwirrt: »Heilige Maria, Mutter Gottes!« aus.
»Lucy«, sagte eine Männerstimme. Dabei legte das Etwas mir die Hände auf die Schultern.
»Daniel!« entfuhr es mir, während ich mich umdrehte. »Was zum Teufel hast du hier verloren? Du hast mich zu Tode erschreckt.«
Statt sich zu entschuldigen, platzte er fast vor Lachen. Er schien die Situation irrsinnig komisch zu finden.
»Hallo, Lucy«, keuchte er. Dabei brachte er die Worte vor Lachen kaum heraus. »Was für ein wunderbares Willkommen du mir doch immer bereitest. Ich dachte schon, daß du inzwischen auf halbem Weg nach Moskau wärst.«
»Wozu lungerst du im Dunkeln vor meiner Zimmertür rum?« wollte ich wissen.
Er lehnte an der Wand. »Du hättest dein Gesicht sehen sollen«, sagte er, wobei er sich die Tränen abwischte. »Wirklich schade, daß du das nicht selbst sehen konntest.«
Ich war sauer und ziemlich erschrocken. Da ich die Sache überhaupt nicht erheiternd fand, stieß ich ihn kräftig in die Rippen.
»Au«, sagte er und hielt sich die getroffene Stelle, lachte aber immer noch. »Du bist ja richtig gemeingefährlich.«
Bevor ich erneut zuschlagen konnte, kam Karen in den Flur. Mit einem Mal war mir alles klar. Mit bedeutungsvollem Zwinkern erklärte sie: »Daniel ist mit mir gekommen. Keine Sorge, es hat mit dir nichts zu tun.«
Alle Achtung, Karen! Ich war tief beeindruckt. Sie schien beachtliche Fortschritte bei ihrem Projekt »Daniel« gemacht zu haben.
»Eigentlich wollte ich gerade gehen«, sagte Daniel, »aber wenn du sowieso schon auf bist, kann ich ja noch ein Weilchen bleiben.«
Wir gingen ins Wohnzimmer, wo sich Charlotte auf dem Sofa räkelte. Sie sah rundum glücklich aus. Ich genierte mich ein wenig, weil mich Daniel in meinem blauen Schlafanzug aus
Weitere Kostenlose Bücher