Lucy Sullivan wird heiraten
allem bereit. Tatsächlich stand der andere viel früher als ich in der Unterwäsche da, und gab mir die Möglichkeit, noch einen Rückzieher zu machen oder es mir anders zu überlegen, ohne gewissermaßen auch nur meine Hand entblößen zu müssen.
Gelernt hatte ich diesen Trick mit fünfzehn Jahren, als ein paar Jungs aus unserer Straße mit Ann Garrett, Fiona Hart und mir in einem Sommer voll sexueller Schwingungen – ich möchte betonen, daß keine davon mich betraf oder von mir ausging – Strip-Poker spielten. Ann und Fiona hatten bereits einen Busen und waren ganz wild darauf, in eine Situation zu geraten, in der sie sich ausziehen durften. Ich war noch nicht so weit entwickelt wie die beiden, und obwohl ich gern mit meinen Freunden zusammen war, wäre ich lieber gestorben, als an lauen Sommerabenden in Unterhemd und Schlüpfer bei Derek und Gordon Wheatley, Joe Newey und Paul Stapleton auf der grünen Wiese hinter der Ladenzeile zu sitzen.
Ich löste das Problem, indem ich alles an Schmuck und Accessoires anlegte, was mir in die Finger fiel. Damals waren meine Ohrläppchen noch nicht durchstochen – das ließ ich erst mit dreiundzwanzig machen –, und so mußte ich Ohrclips tragen, die das Blut stocken ließen und aus meinen Ohrläppchen zwei vor Schmerz pulsierende rote Kugeln machten. Auch wenn ich diesen geringen Preis gern zahlte, war es immer eine Erleichterung, wenn ich beim Poker die ersten Stiche verlor. Sogar den Kameenring meiner Mutter, den sie unten in ihrem Kleiderschrank in Seidenpapier gewickelt in einer Schachtel aufhob und jedes Jahr nur an ihrem Geburtstag und ihrem Hochzeitstag herausholte, schmuggelte ich aus dem Haus. Er war mir viel zu groß, und ich hatte immer entsetzliche Angst, ihn zu verlieren. Da ich außerdem noch drei rosa Plastik-Armbänder vom Jahrmarkt sowie mein Kommunionskreuz samt Kette hatte, kam ich nie in die Verlegenheit, mehr als Sandalen und Socken ausziehen zu müssen. Dennoch trug ich bei diesen Gelegenheiten sicherheitshalber immer drei Paar Socken übereinander. Ann und Fiona legten merkwürdigerweise überhaupt keinen Schmuck an.
Auch schienen sie nichts vom Pokern zu verstehen, denn sie warfen Asse und Könige ab, als kämen diese aus der Mode, und so saßen sie in Null Komma nichts mit eingezogenem Bauch und nach hinten gedrückten Schultern aufrecht in BH und Höschen da, was ihren Busen gewaltig zur Geltung brachte, während sie kichernd beteuerten, wie schrecklich peinlich ihnen das sei. Ich hingegen war vollständig angezogen und hatte lediglich ein ordentliches Häufchen von Ohrringen und rosa Armbändern neben mir im Gras liegen.
Eigenartig, ich habe im Leben kaum je bei irgend etwas gewonnen, aber im Strip-Poker gelang mir das fast jedesmal. Am eigenartigsten aber war, daß das keinen meiner Mitspieler je besonders zu stören schien. Es dauerte mehrere Jahre, bis ich begriff, daß es ihnen ganz recht war, zu verlieren, während ich immer geglaubt hatte, es komme sie hart an. Ich war als junges Mädchen ziemlich naiv.
Während sich Gus mit dem Inhalt meines Zimmers vertraut machte, fuhr ich fort, mir die Ohrringe abzunehmen und anzulegen.
»Ich leg mich mal ’n bißchen hin, Lucy, wenn du nichts dagegen hast.«
»In Ordnung.«
»Macht es dir was aus, wenn ich mir die Schuhe auszieh?«
»Äh, nein, überhaupt nicht.« Ich hatte damit gerechnet, daß er eine ganze Menge mehr ausziehen würde. Sofern es bei den Schuhen bliebe, wäre ich glimpflich davongekommen. Ich hatte nicht erwartet, daß mir bei diesem Spiel viele Karten in der Hand bleiben würden.
Er legte sich neben mich aufs Bett.
»Das ist schön«, sagte er und hielt meine Hand.
»Mhmmm«, murmelte ich. Er hatte recht. Es war schön.
»Weißt du was, Lucy Sull...?«
»Was?«
Er sagte nichts.
»Was?« fragte ich erneut und drehte mich zu ihm um. Aber er schlief schon. In Jeans und Hemd lag er ausgestreckt auf meinem Bett. Er sah richtig süß aus, seine schwarzen gezackten Wimpern warfen Schatten auf sein Gesicht, kurze Bartstoppeln bedeckten Kinn und Kiefer, die Andeutung eines Lächelns umspielte seinen Mund.
Ich sah regungslos auf ihn hinab. So möchte ich es, dachte ich. Er ist der Richtige.
22
I ch zog die Steppdecke unter Gus hervor und legte sie über ihn. Dabei kam ich mir ganz zärtlich und fürsorglich vor. Um dieses Gefühl zu verstärken, strich ich ihm eine Locke aus der Stirn. Dann überlegte ich, ob ich ihn so vollständig angekleidet schlafen lassen
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