Lucy Sullivan wird heiraten
dünnem Flanell ertappt hatte. Das Teegeschirr stand noch auf dem Tisch.
»Du bist ja auf, Lucy«, sagte Charlotte begeistert. »Wie schön! Komm, setz dich zu mir.« Sie erhob sich und klopfte einladend auf das Polster neben sich. Ich tat wie geheißen und setzte mich züchtig im Schneidersitz auf meine Unterschenkel. Ich wollte nicht, daß Daniel den abgeblätterten Lack auf meinen Zehennägeln und die Blase auf meinem Rist sah.
»Ist noch Tee da?« fragte ich.
»Unmengen«, antwortete Charlotte.
»Ich hol dir ’ne Tasse«, sagte Daniel und verschwand in der Küche. Schon bald kam er zurück, goß Tee ein, gab Milch und zwei Löffel Zucker hinzu, rührte um und überreichte mir die Tasse.
»Danke. Manchmal bist du ganz brauchbar.« So, wie er da neben dem Sofa stand, überragte er mich.
»Zieh doch bloß den Mantel aus«, sagte ich ärgerlich, »du siehst damit aus wie ein Leichenbestatter.«
»Ich mag ihn aber.«
»Und setz dich. Du stehst mir im Licht.«
»Entschuldige.«
Er setzte sich auf den Sessel neben mir, Karen setzte sich auf den Boden und legte den Kopf an die Armlehne seines Sessels. Ihre Augen glänzten, und sie sah verträumt und verliebt drein. Offen gestanden war ich entsetzt.
Sie war nicht mehr sie selbst. Im allgemeinen spielte sie immer die Unnahbare und ließ die Männer zappeln. Sie war immer ein bißchen hart, vermute ich, und jetzt sah sie hübsch, friedfertig und anmutig aus. Was sollte man davon halten?
»Ich hab ’nen Typen kennengelernt«, verkündete Charlotte.
»Ich auch«, sagte ich mit Triumph in der Stimme. Auch Karen hatte eine Eroberung gemacht, aber unter den Umständen schien es ihr nicht passend, darüber zu sprechen.
»Haben wir mitgekriegt«, sagte Charlotte. »Karen hat an deiner Tür gelauscht, weil sie wissen wollte, ob ihr es miteinander treibt.«
»Alte Quasseltante...« zischte Karen sie wütend an.
»Gebt doch Ruhe«, sagte ich. »Ich möchte alles über Charlottes Typ hören.«
»Erst möchte ich alles über deinen hören«, sagte Charlotte.
»Nein, zuerst du.«
»Nein, du.«
Karen machte ein gelangweiltes Erwachsenengesicht. Damit wollte sie Daniel beeindrucken und ihm zeigen, daß sie sich mit so billigem Kleinmädchengetue wie Klatsch und Tratsch nicht abgab. Dagegen war nichts einzuwenden – so hatten wir es in Gegenwart von Typen, auf die wir scharf waren, alle schon gemacht. Niemand hatte in der Hinsicht mehr Erfahrung als ich. Es war nichts als ein Kunstgriff, und sobald Karen sicher sein durfte, daß Daniel angebissen hatte, würde sie sich wieder verhalten wie immer und sie selbst sein.
»Bitte, Lucy, fang du an«, meldete sich Daniel. Karen sah überrascht drein, sagte dann aber: »Ja, vorwärts, Lucy. Zier dich nicht so.«
»Von mir aus«, sagte ich entzückt.
»Wunderbar.« Erwartungsvoll umschlang Charlotte ihre Knie.
»Wo soll ich anfangen?« fragte ich, von einem Ohr zum anderen grinsend.
»Sieh nur, wie selbstzufrieden sie dasitzt«, sagte Karen trocken.
»Wie heißt er?« fragte Charlotte.
»Gus.«
»Gus! « Karen war entsetzt. »Was für ein scheußlicher Name. Gustav Gans, Gus der Gorilla.«
»Und wie ist er?« fragte Charlotte, ohne auf Karen zu achten.
»Traumhaft«, begann ich, und meine Beschreibung wurde immer hymnischer. Dann merkte ich, daß mich Daniel sonderbar ansah. Er saß, die Hände auf den Knien gefaltet, vorgebeugt in seinem Sessel und sah mich verwirrt und, wie mir schien, irgendwie traurig an. »Warum schaust du mich so komisch an?« fragte ich aufgebracht.
»Was meinst du mit komisch?«
Dieser Zwischenruf kam nicht von Daniel, sondern von Karen.
»Danke«, sagte Daniel höflich zu ihr, »aber ich denke, ich kann selbst ein paar Wörter zusammenstopseln.«
Achselzuckend und hochmütig warf sie das Blondhaar zurück. Außer leicht rosa Wangen zeigte nichts, daß sie verlegen war. Ich beneidete sie um ihre Selbstsicherheit.
Daniel wandte sich wieder an mich. »Wo waren wir stehengeblieben?« fragte er. »Ach ja, bei ›was meinst du mit komisch? ‹« Ich mußte lachen.
»Ich weiß nicht«, sagte ich kichernd, »So, als ob du was über mich wüßtest, was ich nicht weiß.«
»Lucy«, sagte er würdevoll, »ich wäre nie so blöd zu glauben, daß ich Dinge weiß, die du nicht weißt. Dazu hänge ich viel zu sehr am Leben.«
»Okay«, lächelte ich. »Darf ich euch jetzt von meinem Typ erzählen?«
»Mach schon«, zischte Charlotte, »und spann uns nicht so auf die Folter.«
»Nuuuun«, begann
Weitere Kostenlose Bücher