Lucy Sullivan wird heiraten
den Kleiderschrank gegriffen und angezogen, was einem in die Finger gefallen war. Ich trug Jeans, die ich eigentlich verabscheute, weil sich meine Oberschenkel darin richtig nach außen wölbten, aber ich sah einfach keine andere Möglichkeit.
Meine Oberschenkel haßte ich zutiefst, und ich hätte alles darum gegeben, daß sie dünn gewesen wären. Früher hatte ich sogar darum gebetet. Einmal jedenfalls, bei der Christmette (meine Mutter bestand darauf, daß die Familie geschlossen zur Messe ging, und ich hatte mich daran gewöhnt zu gehorchen, weil’s sonst hinterher kein Viennetta-Eis zum Nachtisch gab). Als uns der Priester aufforderte, für das zu beten, was uns am Herzen liege, betete ich für dünnere Oberschenkel. Später fragte mich meine Mutter nach meinem besonderen Herzensanliegen, und als ich es ihr sagte, tobte sie los, so etwas sei völlig unwürdig und ungehörig. Also schlich ich beschämt in die Kirche zurück, neigte fromm das Haupt und betete für dünnere Schenkel für sie, Dad, Chris, Pete, Oma Sullivan, die armen Menschen in Afrika und überhaupt für jeden, der welche haben wollte.
Aber Gott lohnte mir meine Selbstlosigkeit nicht mit dünneren Schenkeln. Im Laufe der Zeit entdeckte ich die einzige Möglichkeit, sie mager erscheinen zu lassen: Ich mußte in ihrer näheren Umgebung unförmige Kleidungsstücke tragen. Also zog ich jetzt meine schweren klobigen Stiefel an und mußte als Gegengewicht zu dem Fernfahrer-Eindruck, den ich damit machte, einen mädchenhaft wirkenden rosa Angorapulli sowie eine unförmige blauschwarz karierte Jacke anziehen, in der ich zerbrechlich und zierlich aussah.
Es kostete mich eine weitere Stunde, mein Haar so zu arrangieren, daß es aussah, als hätte ich es einfach lose auf dem Kopf zusammengerafft. Es dauerte ewig, bis die Locken so saßen, als wären sie gerade wild und ungeordnet um mein Gesicht gefallen. Dann kam eine dicke Schicht Schminke, die so aussah, als hätte ich gar kein Make-up aufgelegt. Das Ergebnis waren rosa Wangen, helle weiße Haut, leuchtende Augen und frisch glänzende Lippen. Ich nannte das den Schick des nackten Gesichts.
Inzwischen war Gus mit Karen, Charlotte und Daniel ins Wohnzimmer umgezogen. Es sah ganz so aus, als würden die vier sich von klein auf kennen. Ich verspürte einen leichten Stich in der Herzgegend. Es gefiel mir zwar, daß Gus bei meinen Mitbewohnerinnen und Freunden so gut ankam, und umgekehrt. Aber zu gut sollte er bei ihnen natürlich auch wieder nicht ankommen.
Nur eins ist schlimmer, als wenn der Freund einer jungen Frau mit ihren Mitbewohnerinnen und Freunden nicht gut auskommt, und das ist, wenn sie ein bißchen zu gut miteinander auskommen. Es kann zu ziemlichem Wirrwarr und zu Komplikationen darüber kommen, wer mit wem ins Bett geht.
Charlottes Simon hatte angerufen, und Charlotte, fertig hergerichtet und parfümiert, bereitete sich aufgeregt für ihre Verabredung vor.
»Kondome«, sagte sie nervös und setzte sich, um aufgeregt in ihrer Tasche herumzukramen. »Kondome, Kondome, hab ich Kondome mit?«
»Aber ihr trefft euch doch nur zum Mittagessen«, sagte ich.
»Sei nicht kindisch«, sagte sie empört. »Ah, hier... verdammt, es ist nur eins. Was für eine Geschmacksrichtung? Piña Colada. Das muß dann eben reichen.«
»Du siehst großartig aus, Lucy«, sagte Daniel voll Bewunderung.
»Ja, das stimmt. Wunderschön.« Gus wandte sich um und musterte mich von Kopf bis Fuß.
»Doch, wirklich«, stimmte Charlotte zu.
»Danke.«
»Können wir gehen?« Gus stand auf.
»Wir können«, sagte ich.
»Es war richtig nett, euch alle kennenzulernen«, sagte Gus in die Runde. Alle Bitterkeit vom Vorabend schien vergessen zu sein. »Und viel Glück beim... äh... hmmm.« Er nickte zu Charlotte hinüber.
»Danke.« Sie lächelte aufgeregt.
»Viel Spaß.« Daniel zwinkerte mir zu.
»Danke gleichfalls.« Ich zwinkerte zurück.
26
W enigstens regnete es nicht. Zwar war es kalt, doch der Himmel war blau und klar, kein Lüftchen regte sich.
»Hast du Handschuhe, Lucy?«
»Ja.«
»Dann gib sie mal her.«
»Ach so.« Dieser Schweinehund denkt nur an sich.
»Nee, nicht für mich!« lachte er. »Schau her, einen für deine rechte Hand, einen für meine linke Hand, und in der Mitte halten wir Händchen. Siehst du?«
»Ja.«
Diese Lösung gefiel mir, weil sie die peinliche Frage des Händchenhaltens aus der Welt schaffte. In der alkoholdurchtränkten Nacht hatte das keine Schwierigkeiten bereitet,
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