Lucy Sullivan wird heiraten
Stück.«
»’ne ganze Menge.«
»Da wo ich herkomm, ist das eigentlich nicht besonders viel. Ich hab mich immer geschämt, weil es keine zweistellige Zahl ist.«
»Sind sie älter oder jünger als du?«
»Alle älter.«
»Du bist also der Benjamin.«
»Aber der einzige, der nicht mehr zu Hause lebt.«
»Fünf erwachsene Männer, die alle noch bei den Eltern wohnen – das gibt bestimmt ’nen Haufen Probleme.«
»Verdammt! Das kannst du laut sagen. Aber die Jungs werden da gebraucht, denn sie arbeiten auf dem Hof und in der Kneipe.«
»Ihr habt ’ne Kneipe?«
»Ja.«
»Dann müßt ihr ja ziemlich reich sein.«
»Leider nicht.«
»Ich hab immer gedacht, ’ne Kneipe haben ist fast so gut wie die Erlaubnis zum Gelddrucken.«
»Bei unserer ist das anders. Das liegt an meinen Brüdern. Das sind ziemliche Schluckspechte.«
»Aha, ich verstehe. Sie jagen den Gewinn durch die Gurgel.«
»Ach was«, lachte er. »Es gibt keinen Gewinn, den sie durch die Gurgel jagen könnten, weil sie den Stoff direkt durch die Gurgel jagen.«
»Ach Gus.«
»Es ist nur selten was zu trinken da, weil die alles wegkippen, und weil wir jeder Brauerei in Irland Geld schulden, werden wir kaum noch beliefert. Außerdem stehen wir bei allen irischen Schnapsbrennereien in denkbar schlechtestem Ruf.«
»Aber habt ihr denn keine Gäste, mit denen ihr Gewinn machen könntet?«
»Nicht so recht. Dafür leben wir zu weit ab vom Schuß. Unsere einzigen Gäste sind meine Brüder und mein Dad. Und natürlich die Dorfpolizisten. Die kommen aber immer erst nach der Sperrstunde und trinken hinter verschlossenen Türen. Außerdem können wir von denen nicht den vollen Preis verlangen. Offen gesagt können wir von ihnen gar nichts verlangen, weil sie uns sonst den Laden wegen Überschreitung der Sperrstunde dicht machen würden.«
»Du machst Witze.«
»Nicht die Spur.«
In meinem Kopf purzelten die Gedanken durcheinander, während ich mir überlegte, wie man aus der Kneipe von Gus’ Familie ein florierendes Unternehmen machen könnte. Karaoke? Quiz-Abende? Spezialitätenwochen? Mittagstisch? All das sagte ich ihm.
»Nein, Lucy.« Betrübt und belustigt zugleich schüttelte er den Kopf. »Ihnen fehlt jegliche unternehmerische Begabung. Irgendwas würde schiefgehen, weil sie sich fortwährend betrinken und prügeln.«
»Ist das dein Ernst?«
»Absolut. Die Abende sind bei uns meist der dramatische Höhepunkt. Wie ich beispielsweise eines Tages nach Hause komm, finde ich meine Brüder in der Küche. Ein paar sind voll Blut, einer hat sich die Hand mit einem Hemd verbunden, weil er die Faust durch ein Fenster gesteckt hat, sie beschimpfen sich, dann fangen sie an zu heulen und versichern sich gegenseitig, daß sie sich wie wahre Brüder lieben. Mir steht das bis hier.«
»Und worüber streiten sie sich?« fragte ich, ganz gefesselt von seiner Erzählung.
»Völlig egal. Sie sind da nicht wählerisch. Ein schiefer Blick, ein falsches Wort, wie’s gerade kommt.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Beispielsweise war ich Weihnachten zu Hause. Am ersten Abend hatten wir alle ordentlich gebechert. Anfangs hatten wir auch eine spitzenmäßige Stimmung, bis dann die Sache wie üblich aus dem Ruder lief. Gegen Mitternacht meinte PJ, Paudi hätte ihn komisch angesehen, also hat er Paudi eine geschmiert. Dann hat Mikey PJ angebrüllt, er soll Paudi zufrieden lassen und John Joe hat Mikey eine runtergehauen, weil er PJ angebrüllt hat. Darauf hat John von PJ eine gefangen, weil er Mikey geschlagen hatte, und Stevie hat angefangen zu heulen, weil Bruder gegen Bruder kämpfte. Dann hat PJ angefangen zu heulen, weil es ihm leid tat, daß er Stevie geärgert hatte, dann hat Stevie PJ eine gelangt, weil er mit der ganzen Sache angefangen hatte, dann hat Paudi Stevie eine geschmiert, weil er PJ geschlagen hatte, wo er das doch hatte selber machen wollen... Und dann ist unser Dad reingekommen und hat versucht, allen eine runterzuhauen.«
Gus holte Atem. »Es war entsetzlich. Bestimmt liegt es an der Langeweile. Aber der Alkohol heizt das Ganze natürlich an. Seit wir den Sportkanal über Satellit kriegen, sind sie ein bißchen ruhiger geworden, aber dann hat Dad die Rechnung nicht bezahlt und der ganze Krawall ist von vorne losgegangen.«
Ich war fasziniert. Ich hätte Gus ewig zuhören können, wie er mit seinem schönen lyrischen Akzent ausgesprochen spannend über seine gestörte Familie berichtete.
»Und welche Rolle spielst du dabei? Wen verprügelst
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