Lucy Sullivan wird heiraten
du?«
»Keinen. Ich versuch mich nach Kräften aus der Sache rauszuhalten.«
»Das Ganze klingt irrsinnig komisch«, sagte ich. »Wie aus einem Theaterstück.«
»Tatsächlich?« fragte er. Es klang erschreckt, ja, sogar ärgerlich. »Vielleicht hab ich es falsch erzählt, denn es war überhaupt nicht komisch.«
Ich schämte mich.
»Entschuldige«, murmelte ich. »Einen Augenblick lang hab ich nicht daran gedacht, daß wir über dein Leben sprechen. Du bist nun mal so ein guter Erzähler... Bestimmt war es in Wirklichkeit furchtbar.«
»Kann man wohl sagen«, sagte er ungnädig. »Es hat entsetzliche Narben hinterlassen und mich dazu gebracht, schreckliche Dinge zu tun.«
»Was zum Beispiel?«
»Ich bin stundenlang durch die Berge gestreift, hab mit den Karnickeln geredet und Gedichte geschrieben. Natürlich nur, weil ich von der Familie weg wollte und es nicht besser wußte.«
»Aber was ist denn Schlimmes daran, daß jemand durch die Berge streift, sich mit den Karnickeln unterhält und Gedichte schreibt?« Auf mich wirkte das ausgesprochen irisch – wild und romantisch.
»’ne ganze Menge. Wenn du meine Gedichte gelesen hättest, würdest du das bestimmt selber sagen.« Ich lachte, aber nur kurz, denn er sollte nicht meinen, daß ich mich über ihn lustig machte.
»Übrigens eignen sich Karnickel äußerst schlecht als Gesprächspartner«, sagte er. »Sie reden über nichts als Karotten und Gerammel.«
»Was du nicht sagst.«
»Sobald ich also von da weg war, hab ich die Sache mit der Dichterei und der leidenden Seele aufgegeben.«
»Eine leidende Seele zu sein ist doch in Ordnung...«, wandte ich ein. Ich mochte mich nicht so recht vom Bild des Dichters Gus trennen.
»Ist es nicht. Es ist peinlich und langweilig.«
»Findest du? Ich mag leidende Seelen...«
»Nein, Lucy, das darfst du nicht«, sagte er bestimmt. »Wirklich nicht.«
»Und wie sind deine Eltern so?« fragte ich, um das Thema zu wechseln.
»Mein Vater ist der schlimmste von allen. Ein schrecklicher Kerl, wenn er getrunken hat, und das ist fast immer der Fall.«
»Und deine Mutter?«
»Sie tut eigentlich nichts. Ich meine, sie tut schon ’ne Menge – Kochen, Waschen und so weiter, aber sie sorgt nicht dafür, daß sich die anderen anständig aufführen. Ich nehme an, sie hat zuviel Schiß. Sie betet viel. Und sie weint. Bei uns zu Hause wird viel geweint. Wir sind richtige Heulsusen. Sie betet, daß mein Vater und meine Brüder mit dem Trinken aufhören und Abstinenzler werden.«
»Hast du auch Schwestern?«
»Ja, zwei, aber die sind weggelaufen, als sie noch ganz jung waren. Eleanor hat mit neunzehn Francis Cassidy aus Letterkenny geheiratet. Der Mann hätte ihr Großvater sein können.«
Bei der Erinnerung daran schien Gus richtig munter zu werden. »Er war nur ein einziges Mal bei uns auf dem Hof, als er um ihre Hand angehalten hat. Vielleicht sollte ich dir das lieber nicht erzählen, weil du uns sonst für ’nen Haufen Wilde hältst, aber wir haben den armen alten Francis zum Teufel gejagt. Wir wollten sogar die Hunde auf ihn hetzen, aber die haben sich geweigert, ihn zu beißen. Wahrscheinlich hatten sie Angst, sie könnten sich dabei was holen.«
Gus sah mich aufmerksam an. »Muß ich jetzt vor Scham im Boden versinken, Lucy?«
»Nein«, sagte ich, »es ist lustig.«
»Ich weiß, daß das nicht besonders gastfreundlich von uns war, aber wir hatten nur wenig Unterhaltung, und Francis Cassidy war einfach grauenvoll, viel schlimmer als jeder von uns. Er war der elendste alte Kerl, den du je gesehen hast, und er hat bestimmt den bösen Blick, denn vier Tage lang haben unsere Hühner nicht gelegt und die Kühe keine Milch gegeben.«
»Und deine andere Schwester?«
»Eileen? Die ist einfach verschwunden. Keiner am Ort wollte was von ihr wissen – wahrscheinlich hat Francis Cassidy die Kerle gewarnt. Daß sie nicht mehr da war, haben wir gemerkt, als eines Tages kein Frühstück auf dem Tisch stand. Es war Sommer, wir waren beim Heumachen und mußten ganz früh raus. Eileen sollte für uns alle Frühstück machen, bevor wir gingen.«
»Und wo ist sie jetzt?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich in Dublin.«
»Hat sich denn niemand Sorgen um sie gemacht?« fragte ich erschaudernd. »Hat niemand versucht, sie zu finden?«
»Natürlich haben wir uns alle Sorgen gemacht. Wir wußten doch nicht, wer sich in Zukunft um unser Frühstück kümmern würde.«
»Wie schrecklich«, sagte ich beunruhigt. Eileens Schicksal
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