Lucy
aufhob und rief: »Was ist das denn?« Dann drehte sie sich zu ihren Kollegen um und sagte: »Ich finde, wir sollten die drei mitnehmen und befragen.«
»Befragen? In welcher Sache denn?«, fragte ein Polizist.
In diesem Moment rollten von beiden Enden der Seitengasse her T V-Übertragungswagen heran und keilten die Polizeiwagen ein. Kameracrews und Journalisten sprangen heraus.
»Oh, Scheiße, das hat uns gerade noch gefehlt«, fluchte die Polizistin.
»Lucy! Lucy!«, rief einer der Journalisten. »Können wir einen Kommentar dazu von dir haben?«
»Lucy, hast du mit Amanda Alkohol getrunken?«, rief ein anderer.
»Oder Drogen genommen?«
»Weg hier«, sagte der Polizist zu seiner Kollegin. »Du willst |281| nicht ins Fernsehen, glaub mir, ich hab das schon mal mitgemacht.«
Die Polizisten kehrten zu ihren Wagen zurück, die Polizistin schrie noch: »Machen Sie den Weg frei, verdammt!«
|282| 29
Es war ein heißer Tag. Sie warteten bei einem kleinen Pinguingehege, das von einem nach Tierkot stinkenden Wassergraben umschlossen war. Kurz darauf kam Donna über eine Holzbrücke lächelnd auf sie zu, braun gebrannt, robust und so federnd, dass ihr langer schwarzer Zopf auf dem Rücken hin- und herschwang. Jenny hatte ihren Indianer-Look immer gemocht. Donna schloss Jenny zur Begrüßung herzlich in die Arme.
»Schön, dass ihr gekommen seid. Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen, Lucy. Und du musst Amanda sein. Ich bin Donna, sagt doch einfach du.«
»Ja, gern. Hi.« Amanda reichte ihr die Hand.
Lucy sagte nichts. Ihre Blicke schossen aufgeregt hin und her, und sie hob das Kinn und schnupperte. Mitten drin im Großen Strom, dachte Jenny, sie hört und riecht schon all die Tiere. Sie konnte nur hoffen, dass Lucy ruhig bleiben würde.
»Hört mal«, sagte Lucy plötzlich. Aus der Ferne drangen die Laute von Elefanten und Großkatzen heran. »Sie wissen Bescheid.«
Donna sah Lucy mit einem wissenden Blick an und nickte. »Ja. Alle reden von dir, sogar hier. Kommt.«
Donna führte sie über die Holzbrücke in einen Wald hinein und zum großen Gehege der Menschenaffen, wo sie die Bonobos hinter dicken Glasscheiben antrafen. Lucy blieb stehen und zögerte, doch Amanda trat näher heran. Manche schwangen an den Tauen, die von der hohen Decke herabhingen, oder kletterten auf künstlichen Bäumen herum. Andere lagen |283| faulenzend am Boden, und einige spielten auch miteinander oder lausten sich gegenseitig.
»Sie sind so schön«, sagte Amanda, »und sehen so menschlich aus.« Dann dachte sie einen Moment lang nach. »Na ja, klar …«
Donna und Jenny beobachteten Lucy. Jenny sah, dass ihr Körper bebte, wie immer, wenn sie intensiv kommunizierte. Allmählich ließen die Bonobos ab von dem, was sie gerade taten, und kamen zur Glasscheibe. Es wurde still. Amanda trat zurück von der Scheibe, hinter der sich jetzt alle Bonobos sammelten. Lucy, die etwa drei Meter entfernt stand, zögerte noch. Jetzt begannen die Bonobos, die direkt an der Glasscheibe standen, ihre Hände flach daranzudrücken, und schließlich tat einer nach dem anderen das Gleiche, bis die ganze Scheibe vollkommen mit ihren schönen, dunklen Handflächen und zarten Fingern bedeckt war. Dann beugten sie sich vor und spähten durch ihre Finger hindurch nach draußen.
Endlich trat Lucy einen Schritt vor, dann noch einen, und noch einen. Sehr langsam näherte sie sich der Scheibe, und schließlich hob sie die Hand und legte sie ebenfalls flach von außen daran. Ihre Haut wirkte bestürzend bleich vor dem dunklen Teppich aus Händen und Augen. Und dann lösten sich die Bonobos plötzlich alle auf einmal von der Scheibe und begannen, wild auf und ab zu springen und zu kreischen. Lucy stand einen Moment bewegungslos da, dann schlug sie die Hände vors Gesicht. Amanda und Jenny eilten zu ihr und nahmen sie in die Arme.
Donna kam auf sie zu. »Das haben sie noch nie getan. Ich arbeite jetzt seit zwanzig Jahren hier, aber so etwas habe ich noch nie gesehen. Kommt, wir gehen nach hinten.«
»Entschuldigung«, sagte Lucy, »aber es ist so traurig.«
Donna öffnete eine Tür mit ihrer Passierkarte und führte |284| sie durch einen fensterlosen Betonkorridor. Immer weiter und weiter ging es, bis sie ein mit Stahlstäben abgegrenztes Areal erreicht hatten. Es roch nach feuchtem Beton und verrottenden Früchten. Die Bonobos kreischten und hörten auch nicht auf, als sie sich näherten.
»Macht es dir was aus, wenn ich mit ihnen rede?«, fragte Lucy
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