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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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ausstoßen. Und plötzlich trieb ein erneutes Donnergrollen sie aufheulend hinaus in die Nacht. Sie konnte es nicht verhindern. Sie tobte durch den Garten, warf die Arme in die Luft und wirbelte um die Baumstämme herum. Sie riss sich die Kleider herunter und rannte nackt einen |278| Baum hinauf, als hätte sie sich von der Schwerkraft gelöst. Was als Gefühl der Furcht begonnen hatte, wandelte sich zu überbordender Freude. Sie war frei. Sie war wieder zu Hause im Wald. Ein Blitz flackerte über den Himmel, und in seinem Licht sah sie Amanda und Jenny mit durchweichten Kleidern im Regen herumlaufen. Sie riefen nach ihr und versuchten, sie in der Baumkrone auszumachen.
    »Lucy, nein!«, rief Jenny. »Du musst herunterkommen.« Doch ihr Rufen war eine weit entfernte Stimme im Wald, und Lucy konnte bloß mit einem weiteren Kreischen antworten. Inzwischen regnete und stürmte es so heftig, dass der Baum hin und her schwankte. Lucy riss einen kräftigen Ast ab, kletterte wieder hinab auf den Boden und schleifte ihn, noch lauter kreischend, hinter sich her. Ein Donnerschlag antwortete.
    Lucy sah, dass aus den hell erleuchteten Fenstern ringsum bereits Nachbarn herausspähten, um zu sehen, was draußen für ein Aufruhr herrschte. Aber sie konnte einfach nicht aufhören, auch nicht, als Jenny und Amanda hinter ihr herrannten und versuchten, sie einzufangen.
    »Lucy, bitte!«, rief Amanda. »Oh, bitte, Lucy, bleib stehen!«
    Nicht einmal, als schon Sirenen zu hören waren, konnte Lucy antworten. Die wunderbaren Donnerschläge und der wild niederprasselnde Regen trieben sie immer weiter an in ihrem Tanz, und wieder kletterte sie einen Baum hinauf und genoss ihre Freiheit. Die Polizeiwagen bogen in die Seitengasse ein, die hinter das Haus führte. Ihre Blaulichter warfen ein bizarres Licht in die Dunkelheit, während das Gewitter nach Osten weiterzog und Lucy spürte, wie ihre Erregung langsam nachließ. Polizisten stiegen aus den Wagen und warfen mit Suchscheinwerfern flammendes Licht auf die tropfenden Baumkronen. Lucy hörte dunkle Stimmen und schnappte Gesprächsfetzen auf.
    |279| »…   Psychiatrie   …«
    »…   Tierfänger   …«
    »Ist das ein Mädchen?«
    »Ach, es ist nur meine Tochter«, rief Jenny in extra fröhlichem Ton. »Nichts passiert. Alles in Ordnung.«
    »Wir wurden alarmiert wegen Ruhestörung, Ma’am.«
    »Aber wieso? Wir haben doch bloß etwas rumgealbert«, sagte Amanda.
    »Ist sie bekleidet?«
    »Ja, sie hat einen Bikini an«, improvisierte Amanda. »Wir wollten nur ein bisschen im Regen rumrennen.«
    »Wo ist dann Ihr Bikini?«, hakte der Polizist nach.
    Als Lucys Augen sich an das grelle Licht gewöhnten und sie langsam ruhiger wurde, erkannte sie, dass sie in der Falle saß.
    »Holen Sie das Mädchen mal da herunter. Wir wollen mit ihr reden.«
    »Ja, mach ich«, sagte Amanda. »Aber schalten Sie bitte die Suchscheinwerfer aus.«
    »Die können wir nicht ausschalten, Miss«, erwiderte der Polizist. »Das ist Vorschrift.«
    »Drehen Sie die Dinger doch einfach etwas zur Seite«, schlug Jenny vor.
    Jemand stieß einen Pfiff aus, und das Licht dämpfte sich. Lucy passte den Moment ab, huschte durchs Geäst und sprang auf das Dach des Hauses. Dann ließ sie sich an der rückwärtigen Wand herab, durchstieß das Fliegengitter des Esszimmerfensters und schlüpfte hinein. Sie rannte in ihr Zimmer, zog den Bikini an, rannte die Treppe hinunter, in die Garage hinein, in den Garten hinaus   – und schon leuchtete ihr eine stämmige Polizistin mit zerschundenem Gesicht und kurzem rotem Haar mit einer Taschenlampe ins Gesicht.
    »Da ist sie ja!«, rief Amanda.
    |280| »Ja, hier bin ich!«, rief Lucy zurück. »Wir drei haben nur etwas rumgeblödelt, stimmt’s, Amanda?«
    »Genau.« Amanda hatte sich zu den Polizisten umgedreht. »Tut mir leid, da muss es irgendeine Verwechslung gegeben haben.«
    »Hey«, warf die stämmige Polizistin ein. »Du bist doch dieses Affenmädchen.«
    »Wenn es sonst nichts weiter gibt«, schaltete Jenny sich ein und legte den beiden Mädchen die Arme um die Schultern, »gehen wir jetzt wieder hinein.«
    »Wie bist du ins Haus gekommen?«, fragte die Polizistin.
    »Kommt, Mädchen«, sagte Jenny. »Kein weiteres Geblödel mehr heute Abend.«
    Die Polizistin senkte ihre Taschenlampe, leuchtete den Boden ab und entdeckte den durchweichten Haufen zerrissener Kleider. Unbeeindruckt führte Jenny die Mädchen weiter zur Garage, als die Polizistin ein Stück von Lucys T-Shirt

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