Lübeck
Das Renaissanceportal von Tönnies Evers d. Ã., das zum Audienzsaal führt, ist eine gekonnte Schnitzarbeit von 1573, in die eine Feinheit â oder sollte man Fiesheit sagen? â eingebaut wurde: Die Verurteilten des hansischen Obergerichts â es tagte im Audienzsaal â mussten durch die kleinere der zwei Türen ⦠Der Volksmund deutete die Symbolik schlagfertig um: âKleine Tür für kleine Sünder, die groÃe für groÃe!â Um mehr vom Innenleben des Rathauses zu sehen, muss man sich einer Führung anschlieÃen.
Die unansehnliche Seite des Marktplatzes
Diese führt u. a. in den Rokokoaudienzsaal. Die sich darin befindlichen zehn Gemälde (1759/61) von Stefano Torelli beschreiben die idealen Sinnbilder für eine Stadtregierung. Neun Tugenden werden von Frauen verkörpert; nur die Verschwiegenheit gemeinerweise durch einen Mann. Der Raum mit einem 2 t schweren, eisernen Ofen aus dem 18. Jh. wird heute bisweilen für Empfänge, Ehrungen oder Konzerte genutzt. Im Obergeschoss befindet sich mit dem Bürgerschaftssaal der attraktivste Raum des Rathauses. Dieser erlebte zwischen 1887 und 1891 eine Neugestaltung und wirkt in seinem neugotischen Stil fast schon ein wenig maurisch. Von den 60 historischen Sitzen besetzt derzeit 18 die SPD. Sie ist unter dem Vorsitz von Bürgermeister Bernd Saxe die stärkste Kraft; der Diplom-Sozialwirt ist seit 2000 der 228. Bürgermeister der Hansestadt. Wer Lokalpolitik ertragen mag, kann an jedem letzten Donnerstag des Monats das Stadtparlament im Bürgerschaftssaal belauschen. Kostenlose Tickets gibt es ab Montag davor an der Rezeption.
Doch besonders von auÃen und erst recht vom Markt aus entfaltet sich das Rathaus in seiner vollen Pracht. Allen Reisenden fällt sofort die Marktwand mit den zwei Windlöchern auf. Diese Schneidearbeit entstand um 1435 und war ein Einfall von Baumeister Nikolaus Peck. Seither trotzen die Backsteine allen Stürmen.
Einige Generationen vorher zogen die Ratsherren von der Nordwestecke des Marktes in die jetzige und bauten zwischen 1288 und 1308 das Lange Haus an ihr Rathaus: Es wurde wegen seines Festsaales im Obergeschoss auch âDan(t)zelhusâ genannt. 1440/44 entschied sich der Rat für eine zweite VergröÃerung. In diese Zeit fällt die Errichtung der Prachtfassade mit ihren Zinnen und Wappen. Unter der Marktwand kam dann noch ein weiÃer Renaissancebau (1570/71) hinzu, der nach niederländischer Mode und aus Sandstein gestaltet ist.
Rathaus ,Breite Str. 64, Tel. 1221005. Besichtigung nur im Rahmen einer Führung möglich, Kostenpunkt 4 â¬, erm. 3 â¬, Familienkarte 7 â¬, MoâFr 11, 12 und 15 Uhr oder Sa/So 13.30 Uhr, sofern keine Veranstaltungen stattfinden. Besichtigungen zu anderen Zeiten sind nur im Rahmen von Stadtführungen möglich.
Spaziergang 5: Buddenbrookhaus, St. Marien und Niederegger
Marktplatz
Mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Marktplatz kleiner â und, man muss es leider sagen, auch unästhetischer. Ideen des Denkmalschutzes waren angesichts der historischen und privaten Katastrophen nebensächlich. Anders als im Mittelalter ist der Kohlmarkt (wo übrigens kein Kraut, sondern Holzkohle verkauft wurde) heute durch eine Häuserreihe vom Platz getrennt. Doch auch die Verbindungen zur Schüsselbuden (westlich), zur MengstraÃe (nördlich) und zur Breiten StraÃe (östlich) sind eingeschränkt. 1290 gab es auf dem groÃen Markt 1.072 Verkaufsflächen. Erst zum Ende des 13. Jh. wurde die Kaufs- und Verkaufsgerechtigkeit auf Orte auÃerhalb des Marktplatzes ausgedehnt. Lediglich Goldschmiede, Nädler, Bäcker und Fleischer waren weiterhin an den Marktzwang gebunden.
Die elegante Seite des Marktplatzes
Der Markt war aber nicht nur für die Versorgung der Städter überlebenswichtig. Auch das Niedergericht fällte bis weit in die frühe Neuzeit seine Urteile unter der Rathauslaube des Renaissancebaus. Hier verlas der Rat auÃerdem ab 1297 die sog. Bursprake. Diese polizeiliche Anordnung (die viermal im Jahr stattfand) handelte z. B. davon, dass Bettler und Obdachlose bei der Getreideernte zu helfen hatten â sofern sie keine derben Schläge ertragen wollten. 1809 wurde die letzte Bursprake (deren Anordnungen sich wiederholten) vor den versammelten Bürgern vorgetragen.
Daneben liegt der
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