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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Mann, vielleicht Anfang dreißig, der heftig und schnell auf die Tastatur seines Notebooks einhackte. Oschatz tippte mit dem Zeigefinger auf einen Aktenordner. »Kann sein, dass Sie finden werden, was Sie suchen. Ich habe Ihnen diesen Tisch reserviert.« Er zeigte auf einen Tisch an der Wand, etwas abgesetzt von den übrigen Tischen, als wollte er verhindern, dass andere die Dokumente einsehen könnten. Er schniefte, dann fragte er: »Und was ist an dieser Akte so bedeutend?«
    Stachelmann überlegte kurz, er wollte den Archivar nicht verärgern, aber auch nicht einweihen. »Es geht um Biographisches.«
    »Aha«, sagte Oschatz und strich sich mit der Hand durch die spärlichen roten Haare. »Darum also.«
    Stachelmann erwartete weitere Fragen, etwa nach Brigitte, aber Oschatz öffnete nur den Mund und schloss ihn wieder. Er nahm den Ordner und hielt ihn sich vor dem Bauch, wie eingefroren. Stachelmann zögerte, nach der Akte zu greifen. Dann löste sich Oschatz aus seiner Erstarrung und hielt Stachelmann die Akte hin. »Wir haben nichts geschwärzt«, sagte er. »Aber Sie sind ja vom Fach und wissen, dass es Schutzfristen gibt.« Als Stachelmann den Ordner genommen hatte, griff Oschatz nach einem Papier auf seinem Schreibtisch. »Das ist die Archivordnung, bitte lesen und unterschreiben. Es reicht, wenn Sie mir das Papier nachher zurückgeben.«
    Stachelmann dankte mit einem Kopfnicken und setzte sich mit Ordner und Archivordnung an den ihm zugeteilten Tisch. Er lehnte sich zurück und streckte den Rücken, weil er spürte, dass er schlecht sitzen würde auf dem Stuhl. Dann schlug er den Aktendeckel auf. Auf der Rückseite des oberen Deckels war ein Formular, in das sich die Benutzer unter Angabe des Datum einzutragen hatten. Stachelmann setzte Namen und Unterschrift unter den Eintrag einer Birgit Sternberg. So hatte sich Brigitte also getarnt. Etwas dilettantisch, so als wollte sie nicht ganz anonym bleiben. Warum überhaupt anonym? Weil sie Angst hatte? Weil sie von vornherein wusste, dass sie klauen würde? Hatte sie sich eingetragen, bevor sie das Konvolut gelesen hatte oder danach?
    Die Idee traf ihn wie ein Blitz. Er eilte hinaus aus Benutzersaal und Gebäude – Oschatz starrte ihm nach – und rief erneut den Kollegen Abend in Köln an. Ob es in Köln auch eine Akte über Rohrschmidt gebe, fragte er ihn, und ob er herausfinden könne, wer in der Benutzerliste stehe. Abend war nicht begeistert, aber als Stachelmann ihm verriet, warum er es wissen wollte, weckte er die Neugier des Kollegen.
    Zurück zur Akte.
    Er blätterte in den Dokumenten und sah seine Hand zittern. Es hing so viel davon ab, was darin stand. Und was er begriff. Jetzt, wo er womöglich so kurz davor stand, seine Neugier befriedigen zu können, quälte ihn die Angst vor der Enttäuschung. Wenn er hier nichts fand, dann würde sich der Boden auftun und ihn verschlingen. Er blätterte schneller, las Namen, die ihm nichts sagten, und spürte, wie die Depression sich anschlich. Nein, vorn anfangen, Seite für Seite durcharbeiten. Er legte den Stapel vor sich hin, die erste Seite obenauf, und begann zu lesen.
    Zuerst Vermerke der Politischen Abteilung des KZs Buchenwald, also der dortigen Gestapo-Filiale. Diese Station mussten alle Häftlinge durchlaufen. Rohrschmidt wurde als »Politischer« einsortiert, bekam also einen roten Winkel. Weiterhin gab die »Häftlings-Personal-Karte« einige Daten preis, unter anderem den Wohnort – hier war Köln eingetragen –, vermerkt war auch, dass die dortige Stapoleitstelle für die Einweisung zuständig gewesen war.
    Bevor die Häftlinge in der Politischen Abteilung erfasst wurden, waren sie unter Prügeln den Bergweg von Weimar im Laufschritt hinaufgetrieben worden, um geduscht und geschoren zu werden. Dann bekamen sie Häftlingskleidung und waren binnen kürzester Zeit nur noch Nummern. Die »Aufnahme« durch die Gestapo war dann eine weitere entwürdigende Prozedur. Manche Häftlinge mussten stunden- oder sogar tagelang im Korridor stehen und wurden gezüchtigt, wenn sie sich aus Müdigkeit an die Wand lehnten. Wie mochte ein Intellektueller wie Rohrschmidt diese Misshandlungen ertragen haben, zumal die Gestapoleute Intellektuelle oft besonders hassten, weil sie ihnen geistig überlegen waren?
    Eine Seite hinter der Häftlings-Personal-Karte fand sich der Schutzhaftbefehl:

    Geheime Staatspolizei     Köln, am 13. November 1937
    Staatspolizeileitstelle Köln
    Aktenz.: I 4 –

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