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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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eher zum Konservatismus neigt, war das Verhältnis zwischen Rosenthal und Rohrschmidt seit vielen Jahren vergiftet. Niemand im Kreis konnte die Frage nach dem Ergehen des Rosenthal beantworten.
    Der Volksgenosse Pfleger hat, nachdem einige Zeiten Schweigen herrschte, die Frage gestellt, ob die Aufrüstung nicht zwangsläufig in einem Krieg enden müsse, da Briten und Franzosen dem nicht tatenlos zuschauen würden. Zumal wenn man ahne, dass diese umfängliche Aufrüstung nur dann einen Sinn habe, wenn sie dem Kriege diene.
    Er wisse nicht, was die Reichsführung beabsichtige, sagte Prof. Rohrschmidt. Aber wenn es zum Krieg komme, könne dieser nur mit dem Untergang Deutschlands enden. Das wisse sicherlich auch der Führer, zumal dieser ja im Kriege gewesen sei. Wer anderes glaube, könne nur als schlechterdings verrückt bezeichnet werden.
    Das Gespräch drehte sich auch weiterhin um diese Themen, ohne aber neue Fragen aufzuwerfen.
    Heil Hitler!
    Dr. D. Hamm

    Stachelmann schloss die Augen, öffnete sie wieder, dann stand er auf und ging ein paar Schritte. Oschatz beobachtete ihn.
    »Ich geh mal an die frische Luft«, sagte Stachelmann.
    Draußen lief er am Archivgebäude auf und ab. Es war einfach, Hamm denunzierte seinen Ordinarius. Nichts Ungewöhnliches in dieser Zeit. Die Gestapo hatte bis zum Kriegsausbruch keine zehntausend Mitarbeiter für etwa achtzig Millionen Reichsdeutsche. Sie arbeitete so erfolgreich, weil sie sich auf die Bereitschaft Zehntausender stützte, ihre Mitbürger zu verraten. Ohne Denunzianten hätte das Naziregime seine Gegner kaum wirkungsvoll bekämpfen können. Zur Zeit von Hamms Denunziation arbeiteten in einer mittleren Stadt wie Krefeld gerade mal zwölf oder dreizehn Gestapobeamte.
    Es zog ihn zurück zur Akte. Er blätterte weiter. Das Nächste, was er fand, begriff er nicht sofort. Es war eine Quittung, fünfzig Reichsmark für Pfleger, den Doktoran den. Dann verstand Stachelmann, wofür der Mann diesen Betrag erhielt, der heute etwa fünfhundert Euro entspräche, nicht wenig für einen Doktoranden. Pfleger war ein Agent provocateur. Die Gestapo hatte ihn auf Rohrschmidt angesetzt. Der Mann war ihnen ein Dorn im Auge, weil er Demokrat war, das »System« unterstützt hatte, womit die Nazis die Weimarer Republik meinten. Stachelmann überlegte, wie Pflegers Laufbahn sich entwickelt haben mochte. Wenn er den Krieg überlebt hatte, war er bestimmt erfolgreich gewesen, ein zielstrebiger junger Mann, dem in einer Zeit, als die Bundesbürger nur vergessen wollten, alle Türen offengestanden hatten. Wie so vielen anderen Spitzeln. Er spürte die Lust, sich mit diesem Mann zu beschäftigen. Aber das war sinnlos, jetzt ging es um Hamm.
    Auf der nächsten Seite fand sich der Befehl, Rohrschmidt möglichst bald zu verhaften. Doch dies sollte, um Aufsehen zu vermeiden, nicht an der Universität oder bei ihm zu Hause erfolgen, sondern durch eine Vorladung ins Polizeipräsidium, wobei ihm vorgespiegelt werden müsse, er solle als Zeuge in einem nicht zu nennenden Fall aussagen. Sobald Rohrschmidt erschienen sei, müsse er festgenommen werden. Seine Wohnung und sein Dienstzimmer an der Universität seien sofort zu durchsuchen, bevor bekannt werde, dass Rohrschmidt verhaftet sei.
    Stachelmann hatte die Ereignisse vor Augen, als wäre er dabei gewesen. Provokation, Denunziation, Verhaftung. Auf einen Prozess hatte die Gestapo verzichtet, sondern ihr Opfer ohne den Umweg über das Zuchthaus gleich ins KZ geschickt. Ein Gerichtsverfahren hätte wohl Staub aufgewirbelt und den Provokateur wie den Denunzianten entlarvt.
    Es folgten Seiten, die keine Erkenntnisse brachten, interne Vorgänge, Zeugnisse der Bürokratie. Aber dann überraschte die vorletzte Seite Stachelmann doch noch einmal. Es war der Durchschlag eines Berichts über den Vorgang Rohrschmidt an die Sicherheitspolizei, Abteilung II, in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße. Die Abteilung II war die Gestapo. Die letzten Zeilen lauteten:

    Die Stapoleitstelle Köln wird, wie befohlen, auf die Leitung der Universität und die Fakultät einwirken, damit der Pg. Dr. D. Hamm zum Nachfolger des Rohrschmidt ernannt wird. Erste Gespräche in dieser Sache wurden bereits geführt. Am Erfolg ist nicht zu zweifeln.

    Stachelmann blätterte diese Seite um. Die letzte im Ordner war eine Abschrift von Rohrschmidts Totenschein, ausgestellt vom Standesamt Weimar. Todesursache: Herzversagen. Vermerkt war an einem beigehefteten Zettel, dass die Angehörigen die Urne

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