Luegen auf Albanisch
Sachverständige Geld kosteten, das seine Mandantin nicht habe. Was ebenfalls eine gute Frage zu sein schien.
Ohne eine Ahnung zu haben, wer die Wahrheit sagte, war Lula froh, die Beurteilung den Geschworenen überlassen zu können, einem weiteren amerikanischen Schmelztiegel, Männer und Frauen, alt und jung, schwarz und braun und weiß, die alle aufmerksam zuhörten und gelegentlich darum baten, dass etwas wiederholt wurde. Als der Prozess für die Mittagspause unterbrochen wurde, war Lula nach feiern zumute.
Zum Glück war das Mittagessen das Hauptgesprächsthema im Aufzug, und selbst in dieser kurzen Zeit bekam Lula verschiedene Debatten darüber mit, wo die beste kantonesische Nudelsuppe zu finden sei. Wie ließ sich ihre Zuneigung zu diesem Land besser unter Beweis stellen als in einem bezahlbaren Restaurant, umgeben von anderen Einwanderern aus der ganzen Welt, versammelt an runden Gemeinschaftstischen, um sich die Gesichter in den duftenden Dampfbädern der Hühnerbrühe zu wärmen?
Lula hätte es besser wissen sollen, als sich von Suppe verführen zu lassen. Wenn sie sitzen geblieben wäre, wie sie es am Tag zuvor getan hatte, wäre sie nicht unter denjenigen gewesen, die sich zur Mittagspause aus dem Gebäude drängten. Sie hätte Ledermantel – Genti – nicht auf seinem Weg herein entdeckt. Er steckte in der Reihe vor dem Metalldetektor fest, den Blick beunruhigt auf den Korb gerichtet, in dem sein geliebter Ledermantel ohne ihn weitertransportiert werden würde. Genti hatte Lula nicht gesehen, was ihr einen Augenblick Zeit ließ, sich zu entscheiden, ob sie ihn ignorieren und weitergehen sollte. Die Flamme unter der Nudelsuppe erlosch, die wohltuende Brühe hörte auf zu blubbern.
Sie musste Gentis Namen dreimal rufen. Schließlich hörte er sie. Er lächelte fast, schaute dann besorgt.
»Was bringt dich in diesen untersten Kreis der Hölle, kleine Schwester?«
Allein dadurch, dass sie sich in einem amerikanischen Justizgebäude befand, fühlte sie sich gleichzeitig ermutigt und beschützt. Sie packte Genti am Arm und zerrte ihn zur Tür, ein unbeholfenes Ballett, das noch ungelenker wurde, als Genti stehen blieb, um seinen Mantel vom Förderband zu retten, und sich dann beim Durchqueren der Eingangshalle in die schmalen Ärmel zu zwängen. Lula versuchte den Anschein zu erwecken, dass sie und Genti alte Freunde waren und sich durch einen glücklichen Zufall getroffen hatten, statt albanische Terroristen zu sein, die einander durch ein vorher vereinbartes Codezeichen erkannten.
Sie sagte: »Ich bewerbe mich für einen Job am Gericht. Und du? Warum bist du hier?«
Genti zog eine Braue hoch. »Arkon ist in ernsten Schwierigkeiten. Sein Prozess beginnt heute.«
»Arkon?«
»Ich meine Alvo.«
Lula hatte nicht mal den richtigen Namen ihres Phantasieliebhabers gekannt. »Was hat er angestellt?«
Genti schaute sich um, ob jemand zuhörte. »Nichts. Schuldig wegen des vorsätzlichen Verbrechens, Albaner zu sein.«
»Verstehe schon. Aber wie lautet die Anklage?«
»Der Kerl hat sich für uns ins Schwert gestürzt. Guri und ich spielen in diesen Lügengeschichten noch nicht mal eine Rolle. Trotzdem scheißt sich die kleine Zicke Guri in die Hosen. Er versteckt sich in Allentown, Pennsylvania, weil seine Oma angeblich todkrank ist. Wenn seine Oma stirbt, wird er daran schuld sein.«
»Was für Lügengeschichten?«, fragte Lula. Bitte, lass es eine Zivilsache sein. Lass es die Anklage von dem Kerl sein, dessen Klimaanlage Alvo verkehrt herum eingebaut hat.
»Hab ich doch gesagt. Ist überhaupt nichts dran«, sagte Genti. »Da ist nur nicht der richtige Kerl geschmiert worden. Komm mit rein. Unserem Bruder könnte eine längere Gefängnisstrafe bevorstehen.«
Bei einer längeren Gefängnisstrafe ging es nicht um eine Klimaanlage. »Weswegen ist er angeklagt?«, fragte Lula noch zweimal, beim ersten Mal fast unhörbar, beim zweiten lauter, als sie beabsichtigt hatte. Furcht huschte über Gentis Gesicht. Die Furcht vor Verlegenheit.
»Einbruchsdiebstahl. Mögliche Strafe fünfzehn Jahre oder mehr von …« Gentis Finger deuteten anale Vergewaltigung an. Jetzt war es an Lula, sich verlegen umzuschauen.
»Bei einem der Einbrüche wurde ein Hund verletzt. Einem der Einbrüche, die wir nicht begangen haben. Nur ein Kratzer. Der Hund hat sich wahrscheinlich beim Rasieren geschnitten. Gilt das überhaupt als Verbrechen? Aber sie haben eine Kugel in der Wand gefunden.«
»Aus der Waffe?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher