Luegen auf Albanisch
nur daran denken, für schuldig zu stimmen.
Ein Afrikaner war angeklagt, sich der Verhaftung widersetzt zu haben, als man ihn beim Verkauf von gefälschten Designerhandtaschen erwischt hatte. Überall war es ein Verbrechen, nicht das zu tun, was die Polizei sagte, genauso wie dich die Cops überall ins Gefängnis werfen konnten, wenn ihnen dein Gesicht nicht passte. Aber diese Verkaufslizenzgeschichte – das war einfach zu viel! Die Bürgersteige der Welt waren voll von Leuten, die Hotdogs und Halal-Imbisse verkauften, Bananen und Armbänder. In Tirana kaufte man alles auf der Straße, von Olivenöl bis zu Tampons. Ihre Freundin Dunia hatte sich in dem Moment in die Vereinigten Staaten verliebt, als sie bei einem Kerl auf der Third Avenue eine geklaute Louis-Vuitton-Tasche gekauft hatte.
Der Verteidiger trug einen Nadelstreifenanzug kombiniert mit Dreadlocks, eine Modeentscheidung, die auf einen stolzen idealistischen Charakter, aber auf eine unrealistische Natur und vielleicht auf einen Mangel an Siegeswillen hinwies. Zweimal zitierte er Descartes’, Maximen mit einer unklaren Relevanz für den Fall. Lula stellte sich vor, dass alle Albanisch sprachen, und versuchte zu entscheiden, was sie übersetzen würde und was nicht, um den Afrikaner davor zu bewahren, im Gefängnis zu landen, nur weil er einen Arm voll nachgemachter Guccis gepackt hatte und abgehauen war, als die Cops seine Verkaufslizenz sehen wollten. Aber um ihre Meinung ging es nicht. Sie hatte auf der Website gelesen, dass es bei dem Job darum ging, ohne Bewertung, Ausschmückung oder Interpretation zu übersetzen. Es würde beruhigend sein, von einer Sprache in die andere zu wechseln, ohne das ständige gedankliche Blabla, was wahr war oder falsch.
Der erste Zeuge der Anklage war ein Polizist, der ständig Kaugummi zu kauen schien, obwohl er es nicht tat. Er müsse leider sagen, dass der Angeklagte ziemlich fest zugeschlagen habe. Mr. Descartes fragte, wie jemand fest zuschlagen könne, während er rannte, und der Polizist erklärte ihm wie einem Kind, dass der Angeklagte erst zugeschlagen habe und dann weggerannt sei. Der zweite Polizist, ein dürrer Asiate, bekräftigte die Aussage seines Partners, was er auch getan hätte, wenn sein Partner behauptet hätte, dem Angeklagten seien Schweine aus dem Hintern geflogen.
Die Verteidigung hatte keine Zeugen aufzubieten. Niemand habe sich gemeldet, der den Vorfall beobachtet hatte. Die Richterin sagte: »Mr. Mamdani, wollen Sie in eigener Sache aussagen?«
Mr. Mamdani schüttelte den Kopf.
Staatsanwalt und Verteidiger hielten kurze Plädoyers. Beide waren nicht mit dem Herzen dabei. Nach weiteren Belehrungen der Richterin zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Lula wollte hören, wie die Geschichte ausging. Ein Gerichtsdiener kam zu ihr und sagte: »Das kann eine Weile dauern. Sie können ruhig zum Mittagessen gehen.«
Lula sagte: »Ich habe mir im Fitnesszentrum den Fuß verstaucht.« Niemand hatte ihr den Schwur abgenommen, die Wahrheit zu sagen.
»Dann geben Sie lieber auf sich acht, Herzchen«, sagte der Gerichtsdiener. Lula schloss die Augen und ruhte sich aus, bis sich der Gerichtssaal wieder füllte und die Richterin den Sprecher der Geschworenen aufforderte, ihren Urteilsspruch zu verkünden.
»Nicht schuldig«, sagte der Sprecher, ein schlaksiger Hipster, dessen Handgelenke unter den ausgefransten Bündchen seines Pullovers herausragten. Wie waren die Geschworenen dazu gekommen, ihn als Sprecher zu wählen, und erstaunlicher noch, wie waren sie zu dem richtigen Urteil gelangt?
Der Anwalt umarmte seinen Mandanten, der vor der Umarmung zurückschreckte. Erst da drehte sich der Angeklagte um und blickte in den Gerichtssaal. Lula sah, dass er weinte. Was für ein befriedigendes Drama! Der Gerechtigkeit Genüge getan, ein Leben gerettet, der launische Missbrauch der Obrigkeit einmal mehr untergraben. Gab es noch eine Verhandlung, die Lula sich anschauen konnte und trotzdem rechtzeitig vor Zekes Heimkehr zurück zu sein?
Im nächsten Gerichtssaal wurde gegen einen Jungen verhandelt, der einem verdeckten Ermittler einen Joint verkauft hatte. In seinem Eröffnungsplädoyer wies der ältliche Verteidiger die Geschworenen darauf hin, sie sollten sich, auch wenn sie es vielleicht nicht wüssten und obwohl ihm gesetzlich auferlegt sei, das nicht zu sagen, seiner Meinung nach bewusst sein, dass sie seinen Mandanten – diesen Jungen – durch ihr Urteil lebenslang hinter Gitter bringen
Weitere Kostenlose Bücher