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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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befunden hatte. Die sechs Jahre seit dem Tod ihrer Eltern kamen ihr manchmal vor wie ein einziger Augenblick und dann wieder wie eine Ewigkeit. An manchen Tagen konnte sich Lula kaum mehr an sie erinnern, an anderen sah sie ständig ihre Gesichter vor sich. Sie musste immer noch weinen, wenn sie an den komischen, runden Filzhut ihres Vaters dachte, ein Stil, der bei den Hipsters in Brooklyn immer beliebter wurde.
    »Sie sollten Ihre Lebensgeschichte aufschreiben«, hatte Mister Stanley bei ihrem ersten Gespräch gesagt.
    »Vielleicht Kurzgeschichten«, hatte Lula entgegnet.
    »Ich weiß nicht«, hatte Mister Stanley gesagt. »Don behauptet, Sachbücher verkaufen sich besser. Die Lebensgeschichte einer Einwanderin. Hierhergekommen aus dem rückständigsten kommunistischen Land …«
    »Nicht dem rückständigsten«, hatte Lula eingewandt. »Sie vergessen die Stans. Turkmenistan, Usbekistan.«
    »Entschuldigung«, hatte Mister Stanley gesagt. »Wie gedankenlos von mir.«
    »Keine Ursache«, hatte Lula abgewehrt.
    Der Lexus fuhr zum vierten Mal am Haus vorbei, und Lula war mittlerweile von der Überzeugung, es hätte nichts mit ihr zu tun, bis zu dem Gedanken vorgedrungen, es wäre kein Wunder, dass das Auto gekommen war, um sie für ihre Lügen zu bestrafen.
    Der Lexus hielt an. Der Männer stiegen aus und schlenderten zu Mister Stanleys Haus. Keine nochmalige Überprüfung der Adresse. Sie verhielten sich, als wohnten sie hier. Alle drei trugen schwarze, mit weißem Staub gestreifte Jeans. Vielleicht arbeiteten sie auf dem Bau. Hatte Mister Stanley jemanden beauftragt, etwas am Haus zu reparieren, ohne ihr Bescheid zu sagen?
    Einer der Männer trug ein rotes Kapuzenshirt mit dem aufgestickten schwarzen doppelköpfigen Adler Albaniens. Nicht die übliche Arbeitskleidung von Einwanderungsbeamten. Das ergab in gewisser Weise Sinn. Wie viele Albaner gab es im Stadtbereich? Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hierbei um einen zufälligen Hausfriedensbruch handelte, war gering. Was nicht hieß, dass ihre Landsmänner sie nicht aus Spaß vergewaltigen und töten würden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie das einem albanischen Mädchen antaten, das sie nicht persönlich kannten, war ebenfalls gering.
    Hatte Mister Stanley albanische Arbeiter für Reparaturen an seinem Haus bestellt? Das hätte er ihr doch bestimmt gesagt. Lula schaute sich manchmal Fernsehsendungen an, die vor den neuesten Gefahren warnten – Telefonbetrug, Staubmilben, schwarzem Schimmel, Autoentführungen. Aber das waren Wiederholungen, also wusste man nicht, ob die Bedrohung noch galt. Vor Kurzem hatte sie einen Ausschnitt über eine Bande gesehen, die von Tür zu Tür ging und anbot, das Dach zu reparieren, und wenn man ablehnte, zündeten sie das Haus an.
    Die drei Männer kamen ihr vor wie aus einer Comedy-Show. Zwei sahen aus wie Zwillinge. Der gleiche Körperbau, schwarze Polizistenbrillen, übermäßig gegeltes, stacheliges Haar. Untersetzt, breite Hüften, dicke Ärsche. Mit solchen Kerlen war sie zur Schule gegangen. Vielleicht kannte Lula sie sogar. Der ohne Kapuzenshirt trug einen langen schwarzen Ledermantel.
    Der dritte war größer, rothaarig und folgte den anderen beiden. Cool, beide Hände in den Taschen. Süß. Er blickte zum Fenster hinauf und sah sie. Er hatte einen Schnurrbart und längeres Haar. Er erinnerte sie an einen Freund, mit dem sie Kleber geschnüffelt hatte, als sie jung und verrückt war und zu Raves in den Bunkerfeldern ging. Jetzt, da der Süße sie gesehen hatte, würde der Stolz ihr verbieten, sich im Bad einzuschließen und so zu tun, als hätte sie die Türklingel nicht gehört.
    Als sie zum dritten Mal klingelten, öffnete sie die Tür, ließ aber die Kette davor. Lula blickte sie durchdringend an, einen nach dem anderen. Fremde. Sonst hätte sie sich an sie erinnert.
    »Miremengjes« , sagten sie. Guten Morgen.
    »Miremengjes« , sagte Lula.
    »Lula«, sagte der Süße. »Kleine Schwester.«
    Wie hatten diese Kerle sie gefunden? Woher wussten sie ihren Namen? Vielleicht kannten sie Dunia. Hatte sie Dunia ihre neue Adresse geschickt? Oh, Dunia, Dunia, wo bist du? Lieber jetzt nicht daran denken.
    »Was geht ab?«, sagte Ledermantel. Auf der Straße mochten sie zwar Albanisch sprechen, ihren Geheimcode, aber an dieser amerikanischen Haustür gaben sie voreinander mit dem Straßenslang ihrer neuen Heimat an.
    »Könnt ihr mir sagen, auf welche Weise wir verwandt sind?«, fragte Lula.
    »Alle Albaner sind

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