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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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Ginger-Zeit war noch so, wie Ginger es hinterlassen hatte – die spießigen Großmuttermöbel, das Klavier, auf dem keiner mehr spielte. Lula hatte eine argwöhnische und missbilligende Beziehung zu Ginger entwickelt, ausgehend von ihrer Überprüfung und Begutachtung von Gingers Sachen (negativ) und von dem wenigen, was sie von Mister Stanley und Zeke gehört hatte (noch negativer). An einem trüben Vormittag hatte Lula den Kleiderschrank von Ginger durchgesehen, hatte die ausgebeulten Cargohosen und geräumigen Daschikis vor ihren Körper gehalten. Die ausgeleierte Omaunterwäsche erklärte eine Menge, obwohl das nicht die Frage beantwortete, warum Ginger diejenige war, die sich davongemacht hatte. Wie konnte eine Frau – eine Mutter – zwei solche Babys wie Zeke und Mister Stanley einfach sich selbst überlassen? Psychische Störung. Was bedeutete das? Mister Stanley hatte sich nicht näher dazu geäußert.
    Der Süße schaute sich um und schnüffelte. Womit verglich er es, mit seiner luxuriösen Wohnung in der Innenstadt von Bayonne? Oder vielleicht mit irgendeinem Schuppen in Durrës? Warum sollte Lula das Gefühl haben, Mister Stanleys Heim verteidigen zu müssen?
    »Wonach riecht’s hier?«, fragte Ledermantel.
    »Nach Grab, nehme ich an«, sagte Kapuzenshirt.
    »Das Haus gehört meinem Chef«, sagte Lula. »Mein Job ist, auf seinen Sohn aufzupassen.«
    »Das wissen wir«, sagte der Süße.
    Lula hoffte, er würde nicht an den Kamin treten. Sie hoffte, er würde sich nicht die Familienfotos anschauen. Wenn sie schon die Lampen nicht austauschen oder die Beistelltische verrücken konnte, wie groß war dann ihre Möglichkeit zu sagen: Mister Stanley, Zeke, seid ihr euch sicher, dass ihr weiterhin den Kaminsims voll mit Erinnerungen an euer Leben mit einer Bekloppten haben wollt, die euch für einen Gletscher verlassen hat?
    Die Familie war viel gereist. Die meisten Schnappschüsse waren vor Naturwundern aufgenommen worden, Berggipfeln und Canyons. Das Lächeln war starr, und sie sahen immer aus, als wäre ihnen kalt, selbst in der Wüste. Anscheinend gehörten sie nicht zu denjenigen, die Fremde baten, Fotos von ihnen zu machen; Fotos, auf denen entweder Mister Stanley und Ginger oder Zeke und Ginger zu sehen waren, aber nie Zeke und Mister Stanley. Ginger schien keine Fotos zu machen, aber die Reisen mussten ihre Idee gewesen sein. Lula konnte sich nicht vorstellen, dass Mister Stanley und Zeke allein verreisten.
    Der Süße hielt ihr ein Foto hin. Von der anderen Seite des Zimmers sah sie Ginger und Mister Stanley an Felsen auf einem Strand lehnen. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass sie sich die Arme um die Schultern gelegt hatten.
    »Mein Chef, Mister Stanley«, sagte Lula.
    »Tarzan!« Der Süße kräuselte die Lippen. »Und sie?«, fragte er.
    »Ginger. Seine Frau. Seine ehemalige Frau.«
    »Ginger, die Frau? Ginger, der Ingwerkeks!«
    Er reichte Ledermantel das Foto, und der sagte: »Ginger, das Spice Girl. Hah!«
    Mit sanfter Singsangstimme zählte Kapuzenshirt albanische Namen und ihre Übersetzung auf: »Bora Schnee, Era Wind, Fatmir glücklich. Wunderschöne albanische Namen, hässliche Wörter in anderen Sprachen.« Er atmete tief durch und machte weiter, rappte sich in einen Trance-ähnlichen Zustand. »Jehona Echo, Lula Blume …«
    »Halt deine verdammte Klappe, du verdammter Idiot«, schnauzte Ledermantel.
    »Jungs«, sagte der Süße warnend.
    Kapuzenshirt tauchte aus seiner Namenstrance auf wie ein Kind, das unleidlich wach wird. »Also machen du und dein Chef …?« Er legte den linken Daumen und Zeigefinger aneinander und steckte seinen rechten Zeigefinger hindurch. Der Süße warf ihm einen finsteren Blick zu.
    Ledermantel sagte: »Schwester, achte nicht auf diesen ungehobelten Esel, dem’s die Griechen einmal zu oft besorgt haben.«
    Der Süße sagte: »Okay, Jungs. Lasst den Quatsch. Ich heiße Alvo.«
    »Nett, dich kennenzulernen, Alvo«, sagte Lula.
    »Das sind Guri« – Alvo deutete auf Kapuzenshirt – »und Genti.« Er zeigte auf Ledermantel. »Besser bekannt als die G-Men.«
    »Und … was treibt ihr Jungs so?«, fragte Lula.
    »Hör dir das an«, sagte Kapuzenshirt. »Stellt ihren Brüdern prompt schon unhöfliche amerikanische Fragen.«
    »Bauarbeiten.«
    »Und ihr seid hier wegen …?«
    Ihr Gesichtsausdruck erzählte von Geschichten, die bis weit in ihre Kindheit zurückreichten. Sie sagte: »Möchtet ihr Kaffee?« Wenn es je einen Augenblick gab, sich albanisch zu geben,

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