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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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nüchtern, ihr Vater war immer ein schrecklicher Fahrer gewesen. Er hatte zu spät gelernt, die entsprechenden Reflexe zu entwickeln. Genau wie seine ganze Generation. Und bald würde es auch für Lula zu spät sein. Sie schloss ihren Sicherheitsgurt und wappnete sich, als sie auf den Tunnel zuschossen.
    »Dad, die Ampel ist rot!«, schrie Zeke.
    Mister Stanley stieg auf die Bremse und verstummte, bis sie die Ausfahrt nach Newark hinter sich hatten, dann sagte er: »Glaubt ihr, Don könnte ein winziges Alkoholproblem entwickelt haben? Der arme Don. Wer könnte es ihm verdenken, sich einen hinter die Binde zu gießen, bei dieser Tochter? All die wunderbare Arbeit, die er leistet, und das Mädchen behandelt ihn wie … Himmel, ich hoffe, wir werden nicht angehalten. Ich hätte bei Club Soda bleiben sollen. Lass dir das eine Lehre sein, Zeke.«
    Zeke sagte: »Eine Lehre für was?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Mister Stanley. »Vielleicht über die Schattenseite des Lebens im Augenblick.«
    Wieder drehte sich Zeke auf seinem Sitz um. »Hast du das gehört?«, fragte er Lula. »Dad glaubt, sein Problem sei, zu sehr im Augenblick zu leben.«
    »Schnall dich an«, sagte Mister Stanley. »Oder ich fahre rechts ran.«
    Zeke sagte: »Ein Typ aus meiner Schule ist auf der Intensivstation gelandet, weil jemand ihm gesagt hatte, man könne beim Pusten durchkommen, wenn man Mottenkugeln isst.«
    »Das ist ein Märchen«, sagte Mister Stanley. »Tödlich, tödlich, tödlich.«
    »Konzentrier dich, Dad«, sagte Zeke.
    Lula schloss die Augen und dachte an alle Fehler, die sie je gemacht hatte, Sünden, die sie gegenüber ihren Eltern begangen hatte, ihren Freunden, Mädchen, mit deren Freunden sie geschlafen hatte, jede Lüge, die sie jemals Mister Stanley, Don und Zeke erzählt hatte. Sie beschloss, ihre Sünden zu zählen, angefangen mit der ersten, aber sie kam durcheinander und musste zu dem Nachbarsjungen zurückkehren, auf dessen Hand sie absichtlich getreten war, ihm den kleinen Finger gebrochen und damit fast ihre gesamte Familie ins Straflager gebracht hatte, weil der Vater des Jungen bei der Geheimpolizei war. Dann gab Lula das Zählen auf und entschuldigte sich für jede. Entschuldige, Oma, dass ich dir das Wechselgeld nicht zurückgegeben habe, als du mich zum Butterkaufen geschickt hast. Entschuldige, Papa, dass ich Mama erzählt habe, wir hätten Madonna zum Zielschießen verwendet. Darunter lagen die echten Sünden. Als sie lieber mit ihren Freunden spielen wollte und sich weigerte, ihren sterbenden Großvater zu besuchen. Die geheime Freude, die sie empfunden hatte, als ihre Eltern in den Kosovo fuhren, und dann, nach dem Uni-Abschluss, als in Tante Mirelas Wohnung so viel mehr Platz gewesen war. Aber warum dachte sie überhaupt darüber nach, wo es zu Hause Ungeheuer gegeben hatte, die Unschuldige in den Tod geschickt und sich nie dafür entschuldigt hatten, sich nie schuldig gefühlt hatten? Was war mit dem Diktator? War der mitten in der Nacht aufgewacht und hatte sich Sorgen gemacht, jemandes Gefühle verletzt zu haben?
    Entgegen allen Erwartungen kam Mister Stanley vor dem Haus zum Stehen.
    »Vielen Dank, Mister Stanley«, sagte sie. »Vielen Dank, Zeke.«
    »Warum dankst du mir ?«, fragte Zeke.
    »Weil wir am Leben sind«, sagte Lula. »In Sicherheit.«
    »Niemand ist sicher«, sagte Zeke. »Wir haben Vollmond.«
    Auf dem Weg nach oben musste sich Lula am Treppengeländer festhalten. Vielleicht kostete der Wein deshalb so viel, weil er höflich wartete, bis man zu Hause war und er einen dort an die Wand knallen konnte. Lula setzte sich auf die Bettkante. Hinter ihren aneinandergelegten Fingerspitzen nahm das sich drehende Zimmer Fahrt auf. Ein Bad wäre nett, ein kaltes Bad, das ihr die Benommenheit austreiben und den Alkohol verbrennen würde, um sie warm zu halten. An der Wand entlangtastend schaffte sie es bis zum Badezimmer und setzte sich auf den Klodeckel.
    Irgendwas stimmte nicht. War nicht dort, wo es hingehörte. Der Duschvorhang war zugezogen. Lula duschte nie. Konnte Estrelia ihn so gelassen haben? Lula hatte mehrfach gebadet, seit Estrelia geputzt hatte. Warum sollten Zeke oder Mister Stanley sich an ihrem Duschvorhang zu schaffen gemacht haben? Bewegte sich dahinter ein Schatten?
    Lula zog den Vorhang auf. Sie musste ihn geschlossen und es vergessen haben. Sie drehte an dem Knopf, der den Abfluss verschloss, und bemerkte dabei, dass die Seife nicht in ihrer Schale lag. Also, das war seltsam. Lula

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