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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francine Prosse
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Haus geworden war und wie sehr sie sich danach sehnte, ihm zu entfliehen.
    Sie sagte: »Ich gehe wieder ins Bett.«
    »Das kann ich Ihnen nicht verdenken«, sagte Mister Stanley.
    Vor Monaten hatte Lula drei Schlaftabletten in Gingers Medizinschrank gefunden, und obwohl sie misstrauisch gegenüber jedem mit Ginger in Verbindung stehenden Medikament war, hatte sie die Tabletten für einen Notfall aufgehoben, der nun eingetreten war, wie die Nachrichten ihnen versichert hatten.
    Lulas Schlaf wurde von Albträumen unterbrochen, die sie größtenteils vergaß, bis auf den einen, in dem sie von ihren toten Eltern und der Großmutter heimgesucht wurde, und einem weiteren Traum – oder war es derselbe? –, in dem sie in einem Stadion saß und sah, wie ganze Lastwagenladungen von Kuchenmehl auf Dunia gekippt wurden. Lula begriff irgendwie, dass es sich um ein fundamentalistisches Land handelte, in dem Ehebrecher dadurch hingerichtet wurden, dass man sie in Apfelkuchen einbackte.
    Als sie aufwachte, schneite es immer noch. Der Himmel war schlachtschiffgrau. Alarmierende Klingeltöne kamen aus Lulas Handy.
    »Lula?«, fragte eine Stimme. »Habe ich dich geweckt? Wach auf! Es ist Nachmittag.«
    Lula sagte auf Albanisch: »Ich habe gerade von dir geträumt!«
    Dunia sagte auf Englisch: »Ich hoffe, ich hatte Spaß.«
    »Wo bist du?«, fragte Lula.
    Dunia sagte: »Zwanzig Meilen von dir entfernt. In Maplewood, New Jersey.«
    »Ich dachte, du wärst in Tirana. Du hast New Jersey doch immer scheiße gefunden.«
    »Ich bin da nie angekommen«, sagte Dunia. »Ich bin hier. Genau wie du.«
    »Ich hab nichts von dir gehört, ich hab die ganze Zeit nichts von dir gehört. Ich dachte schon, du wärst von Frauenhändlern verkauft worden.«
    »Sehr komisch«, sagte Dunia. »Auch wenn das auf gewisse Weise zutrifft. Ha, ha. Ich mach bloß Spaß. Ich bin verheiratet. Ich habe Steve geheiratet. Einen reichen amerikanischen Schönheitschirurgen. Sehr romantische Geschichte.«
    »Warum hast du nicht auf meine E-Mails geantwortet?«
    »Das ist der unromantische Teil«, sagte Dunia. »Ich erzähle es dir, wenn wir uns sehen. Sollen wir uns auf einen Kaffee treffen? Zum Lunch? Shoppen gehen?«
    »Jetzt? Hast du mal aus dem Fenster geschaut? Ich hab kein Transportmittel. Ich sitze hier fest.«
    »Ich habe einen Fahrer«, sagte Dunia. »Ich komme zu dir.«
    »Einen Fahrer?«, wiederholte Lula.
    »Einen Fahrer!«, brüllte Dunia. »Was ist denn los mit dieser Verbindung?«
    Dunia klang wie immer und doch anders. Tja, Lula hatte sich auch verändert. Selbst wenn nichts passiert, kriegt man alle sieben Jahre neue Zellen, daher waren die ehemaligen besten Freundinnen inzwischen zu einem Siebtel Fremde.
    »Ich meinte nicht heute«, sagte Dunia. »Ich meinte in einer Woche! Bis dann. Küsschen, Küsschen.«
    Lula trat ans Fenster. Mister Stanley hatte den Weg frei geschaufelt, ohne die Hilfe von Zeke, um die er immer bat und nie bekam.
    Zeke spielte wie ein Kind im Schnee, ein großes Kind, das niemanden zum Spielen hatte. Er hatte ein Schneemann-Selbstporträt gemacht, drei weiße Schneebälle, der mittlere in einer zerrissenen Lederjacke und mit etwas – vielleicht Schuhcreme? –, das an den Seiten des klumpigen, kugelförmigen Kopfes herabrann, um ihm Vampirhaare zu verleihen. Die Augen bestanden aus zwei silbrigen CD s, die das letzte Tageslicht einfingen. Der Schneemann hatte der Straße den Rücken zugekehrt, eine ungewöhnliche Idee. Er schien zum Haus zu schauen, und ein silbriges Auge blinzelte Lula zu.
    Lula hatte sich von Mister Stanley und Zeke die gute Angewohnheit abgeschaut, sich nicht allzu viel um die Nachbarn zu kümmern, ein angenehmer Gegensatz zu Tirana, wo aus vielen, durch die Bank unguten Gründen die Nachbarn das Erste waren, woran man nach Essen und Geld und Sex dachte, und oft schon davor. Ausschließlich von Schulkindern, deren Eltern und ein paar älteren Relikten bewohnt, erwachte Mister Stanleys Straßenblock nur an Sommerwochenenden ansatzweise zu schläfrigem Leben, wenn jemand einen privaten Flohmarkt abhielt. Heute war alles leer, bis auf die Putzfrauen, Lieferanten und die gelegentlichen Handlanger, die Schnee von dem einen oder anderen Rasen bliesen.
    Niemand sah den Range Rover vor Mister Stanleys Haus halten, und obwohl Dunia sich wie auf der Bühne bewegte, waren Lula und der Fahrer das einzige Publikum für Dunias theatralisch finstere Blicke auf jeden Schneekrümel, der ihre schönen Stiefel bedrohte. Woher

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