Lügen haben rote Haare
unseren Lieben am Tisch sitzen, sehen uns alle erwartungsvoll an. Selbst Peppino rutscht unruhig auf dem Boden hin und her, jault erst, dann bellt er uns an, als wenn er sagen wollte: »Nun sagt schon!«
Paul prostet allen zu. »Wozu noch lange herumschippern. Wir laufen ohne große Verlobungsfeier direkt in den Hafen der Ehe ein, und das so schnell wie möglich!« Danach holt er aus der Hosentasche eine kleine Schmuckschatulle, aus der er einen schlichten Ring mit einem funkelnden klaren Stein hervorholt, den ich mir nur zu gerne an den Finger stecken lasse.
Alle applaudieren, von allen Seiten wird gratuliert. Vroni lässt einen so lauten Jodler los, dass die Kühe aufschrecken. Ein lautes Muhen und Kuhglockengeläut in verschiedenen Tonlagen hallt, als Vorbote der Hochzeitsglocken, durch die Dunkelheit.
39. Der Gang nach Canossa
Gestern Abend bin ich mit Gänsehaut zu Paul unter die Decke geschlüpft, heute früh bin ich mit Gänsehaut aus dem Bett gekrabbelt. Jetzt, während ich Vroni und meiner Mutter helfe, den Tisch vor dem Haus zu decken, habe ich noch immer Gänsehaut. Die Nacht neben Paul war von einer so süßen Zärtlichkeit, wie sie mir bis vor wenigen Stunden vollkommen unbekannt war. Geflüsterte leidenschaftliche Worte, Ehrlichkeits- und Treueschwüre wirbeln noch immer durch meinen Kopf.
Obwohl wir kaum geschlafen haben, fühle ich mich so agil wie nach einer dreiwöchigen Kur in ›Bad Fithausen am Müslisee‹. Die Sonne lugt hinter einem Berggipfel hervor, es ist noch recht frisch. Vroni legt mir eine selbst gehäkelte Stola aus weicher Wolle um die Schultern.
»Damit du dir nichts einfängst.«
Sie bemerkt, wie sehr mir diese Handarbeit gefällt, und schlägt vor, mir bei einem der nächsten Besuche das Häkeln beizubringen.
Kaufmanns-Toni und seine Kollegen sind schon eifrig bei der Arbeit; gegen 5 Uhr habe ich den alten VW-Bus kommen hören. Hier oben auf der Alm scheinen die Uhren anders zu ticken. Hinter dem Haus scheppern Milchkannen.
Opa Heini sitzt als Erster am reich gedeckten Tisch. Mit großem Appetit greift er nach einem der selbst gebackenen, knackigen Brötchen. Er bedenkt meine Mutter mit einem strengen Blick. »Ha, das hier nennt man frische Brötchen, Hildegard! Dagegen sind die Dinger, die du vom Bäcker Paulsen holst, furztrockener Mehlstaub!«
»Also, Vater … ich bin nun wirklich nicht für die Backkünste unseres Bäckers verantwortlich.«
Opa kontert. »Ne, natürlich nicht! Aber selber backen könntest du mal, so wie die Vroni!«
Meine Mutter verdreht beleidigt die Augen.
Danach erscheint mein Vater mit frisch rasiertem, aber reichlich verknautschtem Gesicht. Beim Anblick von Bergspeck, Landjägern, Leberwurst, Marmelade und Käse zieht er eine Grimasse und kratzt sich den Kopf.
»Vroni, hast du vielleicht Kamillentee im Haus? Mir ist nicht so recht … Der Schnaps, es war wohl einer zu viel.«
Vroni nickt eifrig. »Ja, freilich hab’ ich Kamillentee, Hermann! Selbstgesuchte Blüten, ich brüh’ dir schnell eine Kanne auf.«
»Weichei!« Opa Heini schlürft geräuschvoll seinen Milchkaffee. »Karo, besorg deinem Vater eine Schüssel Milch für seinen ›Kater‹.« Er kichert albern.
Paul kommt fröhlich pfeifend an den Tisch, er haucht mir einen Kuss auf die Wange und wählt den Platz mir gegenüber. Unter seinen Blicken wird mir so warm, dass ich die Stola von den Schultern gleiten lasse. Gundula, die wegen der Krücken etwas länger für die Körperpflege brauchte, humpelt nun langsam, mit nur einer Gehhilfe, um den Tisch, um neben Opa Heini Platz zu nehmen. Conny und die Kinder schlafen noch.
Vroni gießt meinem Vater dampfenden Kamillentee ein; dann erklärt sie mir, dass sie für Paul und mich eine zünftige Brotmahlzeit vorbereitet habe. »Droben«, nach fünf Stunden Aufstieg, könnten wir uns stärken.
Ich verschlucke mich an einem Stück Käse; mein Vater sagt »Hoppla« und schlägt mir kräftig auf den Rücken.
»Fünf Stunden? Fünf Stunden laufen?« Jetzt kichere ich albern. »Ich will nicht nach Hamburg, sondern lediglich auf den Hügel da hinten.«
Vroni lacht, als hätte ich den Witz der Woche erzählt, was absolut nicht der Fall ist. Todernst schaue ich Paul in die Augen; er nickt lahm.
»Fünf Stunden Aufstieg ist vollkommen realistisch. Aber wenn du nicht magst …«
»Ach was …« Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. »Das schaff’ ich locker … quasi auf einem Bein, ha, ha, ha!«
Ich erinnere mich an unsere Worte
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