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Lügen haben rote Haare

Lügen haben rote Haare

Titel: Lügen haben rote Haare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Marie Käfer
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ein Stück Fleisch ab.«
    Vroni nickt lachend.
    Wir lassen uns nicht lange bitten, als unsere Gastgeberin uns auffordert, kräftig zuzulangen. Es herrscht eine fröhliche Stimmung; die Kinder schlingen dermaßen, als hätten sie seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen.
    Conny ermahnt sie mit vollem Mund, in dem ein halber Kloß steckt. »Metz, ischt mal ordentlisch …«, worauf die Kinder schlagfertig reagieren. »Mit vollem Mund spricht man aber nicht, Mama.« Conny wird feuerrot, Opa Heini nickt den Kindern zu.
    Paul sitzt dicht neben mir, sein Oberschenkel berührt mein Bein, was mir ebenfalls die Röte ins Gesicht treibt. Wir registrieren alle begeistert, als die Sonne sich auf den Weg zur anderen Seite der Erdhalbkugel macht, dass die Berge sich majestätisch in feuriger rötlicher Glut präsentieren. Jetzt kann ich nachvollziehen, was Ulrike gemeint hat. Nach dem köstlichen Mahl helfen wir Frauen Vroni, reinen Tisch zu machen, und sitzen innerhalb von einer halben Stunde wieder bei den Männern, die sich, natürlich nur der Verdauung wegen, an selbst gebranntem Obstler laben. Hanni und Nanni erkunden mit Peppi, nachdem er einige Happen des versprochenen Spießbratens verschlungen hat, ein kleines Waldstück neben dem Haus. Paul schenkt aus einer großen Karaffe Wein ein, Vroni verschwindet im Haus, um Kerzen zu holen. Nach wenigen Minuten kommt sie mit bunten Windlichtern zurück.
    »Bert hat angerufen. Er kommt erst morgen früh; seine Freundin, die Marianne, kommt nicht vom Kellnern weg. Drunten im Hotel Zum Wilderer ist die Hölle los. Er mag sie nicht alleine lassen.«
    Paul nickt lachend. »Das kann ich sehr gut verstehen.«
    Mir wird, obwohl ich sitze, schwindelig. Bert hat eine Freundin? Arme Marianne, wenn die wüsste.
    Paul nimmt Vroni in den Arm und hebt das Glas. »Na, dann stoßen wir halt ohne Bert auf einen wunderschönen Abend an, gell, Vroni?«
    Vroni streicht sich vorwitzige blonde Locken aus der Stirn und nickt eifrig. »Ja, dann werden wir ebenso ohne Bert die kleine Familienzusammenführung in Angriff nehmen.«
    Ich kapiere zwar nichts, lasse es mir aber nicht anmerken.
    Anders meine Mutter. »Familienzusammenführung?« Sie parkt das Weinglas kurz vor ihrem Mund und blickt zuerst Paul, dann Vroni fragend an.
    Mein Vater rutscht auf der Bank hin und her, lockert mit zwei Fingern den ohnehin offenen Hemdkragen, zuckt mit den Nasenflügeln und eifert meiner Mutter nach. »Familienzusammenführung?«
    Die unfreiwillige Situationskomik meiner Eltern erinnert stark an Evelyn Hamann und Loriot. Opa Heini, Gundula und Conny verhalten sich wesentlich disziplinierter. Sie hören einfach zu, ohne Fragen zu stellen. Vroni füllt ein Glas mit dem Selbstgebrannten, leert es in einem Zug und fängt an zu reden.
    »Vor dreißig Jahren habe ich die Alm hier droben übernommen, um sie vom Frühjahr bis zum Spätherbst zu bewirtschaften. Ich suchte die Einsamkeit. Den Männern hatte ich abgeschworen.
    Durch eine große Enttäuschung habe ich damals den Glauben an die wahre Liebe verloren. Mein damaliger Verlobter hat sich, ein halbes Jahr nachdem er mir den Ring an die linke Hand steckte, in meine Freundin verliebt … Die beiden sind über Nacht auf und davon. Nach Kempten, mir blieb nur ein Brief mit fadenscheinigen Erklärungen sowie der Hohn und Spott einiger Bewohner im Tal.«
    Conny gleitet ein leises »Oh nein« über die Lippen, meine Mutter atmet tief durch, Gundula tupft sich mit Opa Heinis Taschentuch die Nase, ich hänge gebannt an Vronis Lippen. Frauen reagieren auf derartige Schicksale und deren Auswirkungen auf die Psyche einer Frau sehr sensibel, ich gehöre zweifellos dazu. Unwillkürlich muss ich an Roger und Ricarda denken.
    »Am Samstag, den 19.Juni 1982, bin ich da rauf.« Sie zeigt auf den ›Pippiberg‹. »Mir war danach, den Breitenberg zu besteigen. Es war wie ein innerer Zwang, dem ich nicht widerstehen konnte.« Ein wehmütiger Glanz schimmert in ihren Augen. »Am Gipelkreuz kniete ein fescher Mann, der augenscheinlich mit unserem Herrgott sprach. Ich wollte ihn nicht stören, machte schnell kehrt, doch er bemerkte mich und rief mir nach: ›So bleiben Sie doch, bitte, bleiben Sie‹.
    Ich bin geblieben, habe mich wie selbstverständlich neben ihn gekniet und in sein ›Vater unser‹ eingestimmt. Eine ganze Stunde haben wir gemeinsam vor dem Kreuz gehockt. Danach hat er sich als Nikolaus vorgestellt und mir erklärt, dass er um die Genesung seiner Frau bangen würde, die seit

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