Lügen & Liebhaber
ausgehen, mitgenommen zu werden. Zwar hatte Bernd mich auf den letzten Drücker zu einer Schwulenparty eingeladen, und meine Exkommilitoninnen Meike und Petra fragten an, ob man sich nicht um Mitternacht am Hafen treffen wolle, aber beide Veranstaltungen waren nicht gerade das, was ich mir unter Silvester vorstellte.
Am 30. Dezember rief Karl an. Sofort hatte ich das dringende Bedürfnis, einen Schnaps zu kippen.
»Hör zu, Sylvie«, sagte er so sachlich, als habe er mir eine Amtsmitteilung zu machen. »Wir können es noch mal als Freunde probieren …« Er räusperte sich. »Voraussetzung ist allerdings absolute Ehrlichkeit. Ansonsten …«
»In Ordnung, Karl.« Ich wußte nicht, was ich vor lauter Freude tun sollte. Mich bedanken, Karl durchs Telefon küssen, alles war so schrecklich dumm, also fing ich unbeholfen an zu kichern.
Karl wechselte sogleich das Thema und tat, als brauchten wir bloß dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten. Ohne daß ich ihn danach gefragt hätte, erzählte er mir, er arbeite jetzt ausschließlich als Regisseur, Martha sei wegen unzähliger Intrigen gefeuert worden, und im übrigen stehe seine erste Amphibienausstellung in einer kleinen Ostberliner Galerie an.
Ich fand das alles ganz fabelhaft und fragte übergangslos, was er denn morgen abend machen würde.
»Eine Party bei …« Das letzte Wort des Satzes, das da Skip lautete, hustete er in den Hörer.
Eine Party bei Skip. In meinem Unterbauch krampfte es sich zusammen, als habe ganz plötzlich meine Regel eingesetzt.
»Ach so«, murmelte ich. Wahrscheinlich war es vermessen zu hoffen, daß Karl mich hinzubitten würde. Insgeheim tat ich es dennoch, wenn auch nur für die Dauer eines Atemzugs.
»Okay Sylvie.« Karl klang immer noch so grauenhaft geschäftsmäßig. »Dann wünsche ich dir einen guten … Rutsch.«
»Ich dir auch. Und schöne Grüße an Skip.«
Ich legte auf und weinte so lange, bis meine Augen brannten. Natürlich bekam ich bis zum nächsten Morgen keine weitere Silvestereinladung mehr, und da ich weder Wert auf die Schwulenparty noch auf Meike und Petra am Hafen legte, blieb mir nichts anderes übrig, als zu Hause zu bleiben. Vorsichtshalber kaufte ich so gut wie keinen Alkohol ein – ich hatte beileibe keine Lust, mich am ersten Tag des neuen Jahres in der Notaufnahme eines Krankenhauses wiederzufinden. Der einzige Luxus, den ich mir gönnte, waren ein Paar Biowürstchen, eine Tüte Mais-Chips und ein spanischer Pikkolo. Der würde ja wohl kaum Unheil anrichten können.
Gegen neun legte ich mich mit einem Krimi ins Bett und versuchte mir einzureden, heute sei ein Tag wie jeder andere. Leider konnte ich es selbst nicht recht glauben, weil zum einen immer wieder Böller vor meinem Fenster knatternd explodierten, zum anderen das Fernsehprogramm komplett untauglich war. Gegen elf kam der erste Depressionsschub, und als ich Viertel vor zwölf meinen Pikkolo öffnete, zerfloß ich in Tränen. Mein Leben war wirklich ein einziges Desaster. Punkt zwölf prostete ich mir noch ein wenig selbstmitleidig zu, um mir kurz darauf in einem Zustand vollkommener Lethargie das Feuerwerk vor meinem Fenster anzuschauen.
Ich dachte an Toni. Und daran, daß ich sie jetzt gleich anrufen würde, wenn auch nur, um ihre Stimme zu hören. Nach mehrfachem Klingeln meldete sich Henrik.
»Sylvie hier. Frohes neues Jahr.«
Ich brachte die zwei Halbsätze so glatt über die Lippen, daß ich mich selbst wunderte, und nachdem Henrik mir ebenfalls ein glückliches neues Jahr gewünscht hatte, fragte ich nach Toni.
»Du weißt doch …«, flüsterte Henrik.
»Ich will auf der Stelle Toni sprechen!«
Henrik sagte jetzt gar nichts mehr, kurz darauf hörte ich Geraschel, dann heftiges Atmen am anderen Ende der Leitung.
»Toni?«
»Ja?«
Ich war derart geschockt, Toni persönlich am Apparat zu haben, daß mir erst mal gar kein Text einfiel. Und als auch Toni nichts sagte, fragte ich schließlich: »Geht’s dir gut?«
Die Frage war ernst gemeint, aber Toni antwortete sarkastisch:
»Grandios.«
»Ich möchte dir fürs neue Jahr alles Gute wünschen.«
»Mhm«, erwiderte Toni uneindeutig.
»Und daß alles in Erfüllung geht, was du dir wünschst.«
Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, machte es klick, und nur noch das Tuten war zu hören.
Nein, sagte ich mir, das läßt du dir jetzt nicht gefallen, und rief, bevor ich noch in Tränen ausbrechen würde, ein zweites Mal an.
Wieder war Henrik dran: »Toni möchte nicht mit dir
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