Lügen & Liebhaber
Apparat.
»Ich muß dich sehen«, sagte ich mit einer Stimme, die nüchtern klingen sollte, aber wackelte. »Es geht um Toni.«
*
Wir trafen uns am darauffolgenden Tag mittags um eins im Flughafenbistro. Henrik saß mir bleich und mit tiefen Ringen unter den Augen gegenüber und verrührte den Zucker in seinem Tee. Kaum vorstellbar, daß das der Mann war, der bei mir eine Wirkung wie Kokain gehabt hatte.
Als hätten wir uns vorher abgesprochen, verloren wir kein einziges Wort über das, was erst vor ein paar Wochen in der Gondel passiert war. Dennoch wußte ich, es mußte auch für Henrik etwas Großes, Einmaliges gewesen sein, und genauso wußten wir beide, daß wir es nie im Leben wiederholen würden. Jetzt ging es um Toni – nur um Toni.
Ich fragte Henrik nach Konstantin und seiner denunziatorischen Aktion.
»Das Schwein hat uns die ganze Zeit über beobachtet und Toni am nächsten Tag ein Einschreiben geschickt.« Henrik schnaubte. »Stell dir vor! Ein Einschreiben !«
Ich nickte und dachte, vielleicht war das gar nicht mal die schlechteste Variante. Immerhin hatte Konstantin mich davor bewahrt, Toni anlügen zu müssen. Niemals hätte ich den Mut aufgebracht, ihr die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, aber mit der Last des Betrugs hätte ich ihr genausowenig weiterhin unter die Augen treten können. Zwar war es so die härteste, aber auch die sauberste Lösung.
»Wie hat sie das mit dem … Abgang verkraftet?« Es kam mir vor, als hätte ich Holzstücke im Mund, die mir beim Sprechen in die Quere kamen.
»Gar nicht.« Henrik hatte apart geschwungene Lippen, und ichmußte dummerweise an seine unglaublich zarte Haut denken.
»Absolut gar nicht.«
»Wie soll es jetzt weitergehen?«
Henrik schaute an mir vorbei ins Nirgendwo, während seine Augen plötzlich verdächtig glänzten. »Wenn ich das nur wüßte …«
Keine Ahnung, ob Henrik das aufs Kinderzeugen oder auf seine Beziehung im allgemeinen bezog, und ich traute mich auch nicht zu fragen. Nur konnte ich wohl davon ausgehen, daß Toni ihn nicht rausgeworfen hatte – andernfalls hätte er mir mit Sicherheit davon berichtet.
Henrik kramte schon nach seinem Portemonnaie, er müsse gleich wieder an die Arbeit, da endlich nahm ich meinen Mut zusammen:
»Wie stehen die Chancen, daß Toni und ich wieder …« Meine Stimme hatte etwas schrecklich Erbärmliches. »Du weißt schon …«
Henrik sah wieder gefaßt aus, als er mir mitteilte, das könne er überhaupt nicht einschätzen, im Moment sei ich jedenfalls die letzte Person, die Toni zu Gesicht bekommen wolle, und Freundschaft … pah …
Ich schluckte einen dicken Tränenkloß runter und sagte leise:
»Obwohl … zu so einer Sache gehören immer zwei.«
»Ich weiß.« Henrik tätschelte kurz meine Hand.
Wir zahlten, dann reichte er mir meine Jacke.
»Schade, daß jetzt alles anders ist«, sagte ich, und Henrik erwiderte, vielleicht wäre es das beste, wenn ich Toni einen Brief schreiben würde.
Wir verließen das Bistro, und auf der Höhe der Toiletten zog Henrik mich an sich, und während er mir einen kleinen Kuß auf den Mund drückte, schlüpfte für den Bruchteil einer Sekunde seine Zunge in meinen Mund.
*
Es gab nur zwei Möglichkeiten: bis zum Exitus saufen oder mit diesem Schlamassel irgendwie zurechtkommen. Und weil ich Magenverstimmungen der unappetitlichen Art nicht leiden konnte, entschied ich mich für die zweite Möglichkeit.
Als erstes stockte ich meine Arbeitsstunden bei H & M auf. Wenn ich tagsüber beschäftigt war, konnte ich nicht auf dumme Gedanken kommen, so lästig und öde die Arbeit auch sein mochte. Als zweites versuchte ich, meine einsamen Abende irgendwie zu überstehen, ohne dabei zwei Schachteln Schlaftabletten mit ein paar Drinks runterzuspülen.
Ich schrieb Toni. Einen Brief, einen zweiten und dann noch einen, ich konnte es nicht oft genug tun, auch wenn es schwer war, die richtigen Worte zu finden. Wie billig, wenn ich ihr sagte, daß es mir leid täte. Ihr Abgang und auch das andere. Wie mies, wenn ich ihr von Henriks und meinem ach so unglaublich ekstatischen Tête-à-tête in der Gondel berichtete, das so ziemlich alles übertroffen hatte, was mir bisher im Leben untergekommen war. Also bat ich sie schlicht und einfach, meine Freundin zu bleiben. Sicher, ich konnte verstehen, wenn sie Zeit brauchte, das schrieb ich ihr auch und forderte sie gleichzeitig auf, mir doch zurückzuschreiben, irgendwann, oder mich anzurufen.
Doch das passierte natürlich nicht.
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