Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
Beobachtungen der Überzeugung waren, dass Läuse für den Gesundheitszustand der Menschen nützlich seien. 1 Einem bekennenden Kölner wie mir machte es natürlich Spaß, diesen Irrglauben den wenig geliebten Eingeborenen einer rheinabwärts gelegenen Konkurrenzmetropole anzuhängen, die das Wort »Dorf« schon im Namen trägt. Coautor Jens wagte in der Entstehungszeit dieser Passage die Bemerkung, dass die Geschichte eigentlich besser in das, so wörtlich, »schmuddelige Köln« passen würde als in das schnieke Düsseldorf – vor allem in Anbetracht der Epoche, in die wir die Geschichte verlegt haben. Aber als »Imi« (Zugereister) aus
Aachen, der sogar die Frechheit besaß, aus Köln wieder wegzuziehen (und zwar nach Bielefeld in Westfalen) – als derart unzuverlässiger »Imi« hat Jens in solchen mittelrheinischen Existenzfragen natürlich überhaupt nichts mitzureden. Wo kämen wir sonst hin?
Das Thema Gesundheit führt uns sofort zum nächsten Fall einer Verwechslung von Ursache und Wirkung – diesmal ein ernster Fall, den die Autoren Beck-Bornholdt und Dubben beschrieben haben: Vor einigen Jahren haben Medizinforscher eine positive Korrelation zwischen dem Auftreten von Geschwüren im Zwölffingerdarm und der Einnahme des Schmerzmittels Paracetamol festgestellt. Korrelation heißt: Zwei verschiedene Größen treten häufig zusammen auf, sodass die meisten Menschen einen Zufall für sehr unwahrscheinlich halten. Positive Korrelation heißt: Wenn die eine Größe wächst, wächst auch die andere. Als anschauliches Beispiel mag die positive Korrelation zwischen Alter und grauen Haaren dienen, sofern man überhaupt noch welche hat. Doch zurück zum Paracetamol. In diesem Fall nahmen einige Mediziner an, dass das Schmerzmittel möglicherweise die Nebenwirkung hat, Zwölffingerdarmgeschwüre auszulösen, und veröffentlichten eine Warnung. Es dauerte seine Zeit, bis andere Mediziner dahinterkamen, dass die Kausalität, die Ursache-Wirkungs-Beziehung, überwiegend umgekehrt liegt: Patienten, die an einem Zwölffingerdarmgeschwür leiden, nehmen häufig Paracetamol, weil der alternative Wirkstoff Acetylsalicylsäure die Symptome des Geschwürs verstärkt. Es ist also nicht so, dass Paracetamol Zwölffingerdarmgeschwüre auslöst, sondern umgekehrt: Wer ein Zwölffingerdarmgeschwür hat, nimmt Paracetamol. 2
Die Verwechslung von Ursache und Wirkung ist bei Weitem
nicht das einzige Problem, das Sie mit Ursachen und Wirkungen bekommen können. Andere Probleme, die wir gleich erläutern werden, sind durchaus häufiger anzutreffen; aber ausgerechnet im sensiblen Bereich Medizin scheint sich genau dieser Fehler zu häufen. Deshalb noch ein weiteres Beispiel: 2004 fanden schwedische Forscher heraus, dass Kinder mit Asthma häufig in Haushalten leben, wo der Hausstaub überdurchschnittlich stark mit bestimmten chemischen Weichmachern (Phthalaten) belastet ist, die in PVC-Fußbodenbelägen enthalten sind. Diese Stoffe stehen zwar EU-weit ernsthaft im Verdacht, verschiedene Gesundheitsschäden zu verursachen; ob aber auch Allergien und Asthma dazugehören, ist zweifelhaft. Der dänische Asthmatikerverband wies 2004 darauf hin, dass es sich mit Ursache und Wirkung in diesem Fall auch umgekehrt verhalten könnte: Haushalte mit Kindern, die an Asthma leiden, statten ihre Wohnungen besonders häufig mit PVC-Fußbodenbelägen aus, um die Entstehung von Hausstaub zu verringern. Dort gibt es also weniger Hausstaub und mehr Phthalate als im Durchschnittshaushalt, folglich eine besonders hohe Phthalat-Konzentration pro Gramm Hausstaub. 3
Dieser Aspekt von Statistiken ist deshalb so wichtig, weil die meisten Menschen stark auf Ursache-Wirkungs-Ketten fixiert sind. Wir können gerade erst sprechen, dann fragen wir schon nach dem »Warum«. Warum ist der Mann da so dick? Warum sind die Nachbarn so laut? Warum ist der Himmel blau? Warum ist die Banane krumm? Immer wollen wir wissen, was die Ursache für die merkwürdigen Dinge ist, die wir sehen und hören. Deshalb ist es kein Wunder, dass wir häufig auf vermeintliche Ursachen hereinfallen, die in Wirklichkeit gar keine sind. Wenn uns auffällt, dass die Faktoren A und B häufig
zusammen auftreten, können wir kaum der Versuchung widerstehen, A für die Ursache von B zu halten oder umgekehrt. Vor allem dann, wenn es eine plausible Erklärung für den Zusammenhang zu geben scheint. Dieser Schluss, der leider häufiger ein Trugschluss ist, ist sogar in die Philosophiegeschichte
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