Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
Beispiel behauptet, der »Anteil der nuklear erzeugten Energie« betrage in Deutschland 31 Prozent und in Frankreich 78 Prozent. Als Quelle der Grafik wurde die mysteriöse Abkürzung CEA angegeben. Dahinter verbirgt sich das offizielle französische Komitee für Atomenergie (Commissariat à l‘énergie atomique), das unter anderem die Aufgabe hat, französische Atomkraftwerke in der Öffentlichkeit gut zu präsentieren. Dieser Aufgabe wurde der Zeitungsartikel gerecht, indem er die Bedeutung der Atomkraft für die Energieerzeugung »ein wenig« übertrieben hat. In Wirklichkeit stellt die Atomkraft in Deutschland nur etwa 13 Prozent der verbrauchten Primärenergie. 4 Während die genannten 31 Prozent, vermutlich mit Absicht, schnell das Horrorbild heraufbeschwören, ein Ausstieg aus der Atomkraft werde in Deutschland wohl das Licht ausschalten, können wir uns bei 13 Prozent schon viel eher vorstellen, dass man das mit Energieeinsparung, Windkraft und anderen erneuerbaren Energien überbrücken könnte. Die 31 Prozent der CEA sind zwar vielleicht nicht falsch (andere Quellen nennen 23 oder 28 Prozent) 5 , beziehen sich aber nur auf die Stromproduktion . Große Teile der Wärmeenergie (zum Beispiel in Heizungsanlagen) oder der Bewegungsenergie (beispielsweise in Motoren) wurden bewusst ausgeblendet. Damit machen sich die Propagandisten der Atomkraft bei ihren Prozentzaubereien ganz bewusst einen weit verbreiteten Irrtum zunutze: die Verwechslung von Strom und Energie.
Viele Journalisten neigen leider dazu, die Frage »Prozent wovon? « gar nicht erst zu stellen. Sie behandeln Prozentzahlen so, als wäre Prozent eine Maßeinheit wie Zentimeter. Deshalb verstehen sie auch nicht, wieso es manchmal nicht Prozent , sondern Prozentpunkte heißen muss. Dazu wieder ein Beispiel aus der Wahlarithmetik: Wenn eine Partei bei der vorigen Wahl 30 Prozent der Stimmen hatte und bei der aktuellen Wahl nur noch 20 Prozent, dann hat sie nicht 10 Prozent ihrer Wähler verloren, sondern 10 Prozentpunkte. 10 Prozent weniger – darüber hätte die Partei sich ja fast noch freuen können, wären doch nur 3 Prozent der Stimmen gewesen. 10 Prozent ist ein Zehntel, und ein Zehntel von 30 Prozent sind 3 Prozent. Die Partei hat aber von den 30 Prozent der Stimmen, die sie vorher hatte, 10 verloren, also genau ein Drittel oder gut 33 Prozent ihrer Stimmen.
Wer es nicht glaubt, rechne das einmal mit absoluten Zahlen durch. Bei 1000 Wählern hat die Partei früher 300 Wähler gehabt und jetzt 200, mithin also jeden dritten ihrer Wähler verloren.
Ähnlich sieht es aus, wenn die Krankenkassenbeiträge von 14,9 auf 15,5 Prozent (der Bruttoeinkommen) steigen. Sie steigen dann nicht, wie so mancher Wirtschaftsredakteur zu schreiben pflegt, um 0,6 Prozent, sondern um 0,6 Prozentpunkte. Die Steigerungsrate ist vielmehr mit rund 4 Prozent deutlich höher.
»Kommst du zum Schluss? Gleich springen uns die Leser ab«, unterbricht Jens meine Prozentpredigt. Netter Versuch; doch nach einer Tasse Tee lässt der Texter mit dem berüchtigten Motto »Korff kürzt« noch eine allerletzte, einfache, aber höchst manipulative Variante durch.
Ganz wüste Effekte kann man mit Steigerungsraten von Steigerungsraten erzielen, auch »Prozent von Prozent« genannt. Ein Beispiel: Nach dem Winterschlaf steigere ich im Frühjahr meist meine Trainingskilometer beim Laufen. »Na, zum Glück gibt’s den Winter, sonst müsstest du dich immer weiter steigern«,
stichelt Jens, der nicht nur Nichtmathematiker, sondern auch Nichtläufer ist … Wenn ich dann entsprechend erschöpft nach Hause komme und diesen Zustand rationalisieren will – mir selbst oder meiner Frau gegenüber –, kann ich leicht aus einer Mücke einen Elefanten machen. Ich muss nur die Steigerung der Steigerungsraten berechnen. Lief ich vorgestern 10 und gestern 10,1 Kilometer, so war das eine Steigerung von 0,1 Kilometer oder 1 Prozent. Schaffe ich heute 10,5 Kilometer, beträgt die Steigerung zum Vortag 0,4 Kilometer oder fast 4 Prozent. Das sind vier Mal so viele Prozente wie bei der vorigen Steigerung! Also eine hübsche verbale Verpackung drum herum, und ich bin der Held der Waldläufe: »Zurzeit trainiere ich Länge. So konnte ich meine Streckenverlängerung gegenüber gestern vervierfachen! Wenn ich so weitermache, reicht es bestimmt bald zum Marathon. Quod erat demonstrandum! «, keuche ich noch mit meinem vorletzten Atem und meinem letzten Latein.
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Quelle: Jahrbuch 2008 der
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