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Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)

Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)

Titel: Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Bosbach , Jens Jürgen Korff
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Prozent gesunken. Wir haben in den letzten Jahren also unseren Beitrag zur Konsolidierung der Gesundheitsfinanzen wahrlich schon geleistet. Jetzt sind andere dran!« So massiv mit unbestechlichen Prozentzahlen argumentierend, brauchen Sie über das tatsächliche aktuelle Einkommen der Ärzte – immerhin knapp 10 000 Euro monatlich – im Ministerium wahrscheinlich kein Wort zu verlieren und bugsieren Ihren Verband ungeschoren durch die Sitzung.
    Eine kleine Feinheit am Rande: Auch Sie wissen, dass die Wiedervereinigung erst 1990 war. Aber kleine Fehler lenken ab! So bleibt der wirkliche Trick, dass Sie sich unter den stark schwankenden Einkommen genau das Basisjahr mit dem höchsten Einkommen herausgesucht haben, ebenso unbemerkt
wie der Trick, dass Sie für Ihre Hauptaussage statt der nominalen die realen Einkommen herangezogen haben. 2
    Und jetzt der doppelte Rittberger! Drei Tage später legen Sie den Delegierten mit stolzgeschwellter Brust Ihre Leistungsbilanz vor: »Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine harte Zeit für alle Ärzte. Immer wieder wird gerade bei uns gespart, um das Gesundheitssystem finanzierbar zu halten. Sie verfolgen das ja auch in den Medien. Aber für unseren wahrlich schon gebeutelten Sektor konnte ich dank vieler unermüdlicher Verhandlungen durchsetzen, dass unsere Einkommen in den letzten acht Jahren um gut 22 Prozent gestiegen sind. Ich danke allen, die mir bei meinem Einsatz geholfen haben.« Stehender Applaus, und Ihre Wiederwahl ist nur noch eine Formsache. Kleinigkeiten wie die diesmal unberücksichtigten Preissteigerungen und das seltsame Basisjahr fallen hinter den tollen Prozenten niemandem mehr auf.
    Sie haben es geahnt: Eine solche Geschichte kann man nicht erfinden. Ich habe sie als Statistiker eines Ärzteverbandes mit anderen Jahreszahlen und drei Wochen Abstand zwischen den Ereignissen fast genau so erlebt. Die Freiheit der Prozentrechner ist bei Zeitreihen mit stark schwankenden Werten fast unendlich.
    Bevor ich es vergesse: Vielen Dank für Ihre Mitarbeit bei der Rettung eines verarmten, erniedrigten und beleidigten Berufsstandes! Die Benotung Ihrer Arbeit nehmen Sie bitte selber vor. – »Typisch Professor!«, sagt Jens dazu. »Wird das Prinzip des Sich-selber-Benotens der Prüflinge demnächst als Beitrag zur Kostendämpfung im Hochschulwesen eingeführt?«
    Natürlich kennen und nutzen auch andere diese Tricks. Beispiel Klimaschutz : Der damalige US-Präsident George W. Bush sagte im Sommer 2008 bei einer Gipfelkonferenz zu, dass die
USA den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase bis 2050 um mindestens 50 Prozent absenken würden. Das Basisjahr vergaß er leider bei der Ankündigung. Vermutlich meinte er das Jahr mit dem höchsten Ausstoß überhaupt, während die ganze übrige Welt sich bei solchen Angaben an das in internationalen Klimaschutzabkommen übliche Basisjahr 1990 hält. Das wäre ein in Worten kleiner, aber von der Wirkung riesiger Unterschied. Denn je höher der Ausstoß im Basisjahr war, desto größer ist auch das, was nach Abzug von 50 Prozent übrig bleibt.
    Jenes Basisjahr 1990 schafft normalerweise im internationalen Klimaschutz Klarheit bei den angestrebten und erreichten Vereinbarungen; aber es sorgt trotzdem auch für Verzerrungen. Deutschland steht im internationalen Vergleich mit einer erreichten Absenkung des Treibhausgas-Ausstoßes um 22,2 Prozent (Stand 2008) 3 viel besser da als beispielsweise Spanien, das seinen Ausstoß um fast 50 Prozent gesteigert hat, oder die USA mit ihrem Plus von rund 16 Prozent. Wenn man sich genauer anschaut, wer noch besser abgeschnitten hat als Deutschland, kommt man der Erklärung auf die Spur: Das sind Länder wie Tschechien, Polen, Russland und die Ukraine. Deren Ausstoß sank um sagenhafte 25 bis 55 Prozent! Natürlich liegt das nicht am phänomenalen Umweltbewusstsein dieser Staaten, sondern am Zusammenbruch der früheren Ostblock-Wirtschaft mit ihren zahllosen veralteten Kraftwerken und Industriebetrieben. Und Deutschland – mit seiner zusammengebrochenen Industrie in der ehemaligen DDR – kann sich jetzt dank des glücklichen Basisjahrs über die Maßen als Land der Klimaschützer loben.
    Wie bei Prozentzahlen mit der Auswahl der Bezugsgröße bewusst Politik gemacht wird, zeigt das Beispiel der Atomindustrie . Der Kölner Stadt-Anzeiger veröffentlichte 2006 eine
Grafik zur Zahl der Atomreaktoren weltweit. Sie ist typisch für die Argumentation der Atomindustrie. Dabei wurde im konkreten

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