Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
Prognose zu Makulatur machen. Wer solche Prognosen als sichere Zukunftsbeschreibung verkauft, ist ein Scharlatan.
Und wer sie ihm einfach glaubt, hat vergessen nachzudenken. Es hilft nichts: Mit der unsicheren Zukunft müssen wir leben und deshalb flexibel für die Zukunft planen!
Zum Schluss des Kapitels wollen wir kurz der Frage nachgehen, welche Interessen denn manche Prognosenutzer mit ihren Voraussagen verfolgen, und wie ihr Interesse die Auswahl der veröffentlichten Trends beeinflusst. Die Ölpreisprognosen von Banken, Unternehmensberatern und Energiekonzernen für die Jahre 2010 bis 2020 schwanken zwischen 20 und 200 Euro pro Barrel. Dabei prognostizieren Ölkonzerne meist einen maßvollen Anstieg. Kein Wunder, denn dieser verlockt einerseits Aktienanleger zum Aktienkauf, verhindert aber andererseits, dass Ölverbraucher sich energisch nach Alternativen zum Erdöl umsehen oder der Staat reglementierend eingreift. 6
Die Spekulationen auf dem internationalen Finanzmarkt werden fast ausschließlich von Zukunftserwartungen der Investoren angetrieben. Es liegt also nahe, diese mit geschickt gestreuten Prognosen im Sinne bestimmter Akteure zu beeinflussen. Damit sind weniger verbotene Kursmanipulationen und Insiderhandel gemeint als einseitige Berichte über bestimmte Branchentrends, Unternehmensstrategien oder Geschäftsentwicklungen. Selbst Wirtschaftsprüfer und Rating-Agenturen, die gesetzlich zu einer kritischen Sicht verpflichtet sind, haben immer wieder noch kurz vor dem Zusammenbruch von hoch spekulativen Konzernen oder Banken positive Prognosen abgegeben: so die Wirtschaftsprüfer von Arthur Andersen 2002 vor dem Zusammenbruch des Enron-Konzerns sowie die Rating-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch vor der amerikanischen Hypothekenkrise 2007, die die Weltfinanzkrise auslöste. 7
Die Bild-Zeitung und der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Meinhard Miegel stellten im Sommer 2006 auf bild.de einen Prognose-Automaten online, auf dem man sich ausrechnen lassen konnte, wie viel gesetzliche Rente man, je nach Geburtsjahrgang, für 100 eingezahlte Euro später »herausbekommen« wird. Der Automat funktionierte sogar bis zum Geburtsjahrgang 2040! 8 Miegel gab also vor zu wissen, wie lange die Menschen um 2100 und später in Deutschland arbeiten werden, wie viel sie verdienen und davon in die gesetzliche Rente einzahlen. Wie lange sie anschließend leben und wie hoch während dieser Zeit die Rentenauszahlungen sind, gehörte natürlich auch zum Rechenmodell. Miegel wollte mit diesen Daten, die in Anbetracht des raschen sozialen Wandels völlig aus der Luft gegriffen sein müssen, den Bild-Lesern »beweisen«, dass die gehaltsabhängige und solidarische Finanzierung der gesetzlichen Rente keine Zukunft habe und durch ein anderes System ersetzt werden müsse: eine vom Staat garantierte minimale Grundversorgung und private, kapitalorientierte Rentenversicherungen für alle weiteren Ansprüche. Im Interview mit Dietrich Krauß vom Südwestrundfunk gab Miegel allerdings zu, dass er zukünftige Veränderungen der Produktivität der Wirtschaft dabei nicht einbezogen hatte: »So weit sind wir noch nicht«, gestand er vor laufender Kamera. Dabei ist es gerade die Produktivität der Arbeiter und Angestellten (neben der Anzahl ihrer Arbeitsplätze), die darüber entscheidet, wie viele Kinder, Rentner oder Kranke jeder Erwerbstätige mitfinanzieren kann.
Miegels Beziehungen zu jenen Versicherungskonzernen, die mit dem Verkauf privater Rentenversicherungen viel Geld verdienen, gehen wir im Kapitel »Die Dummen und die Bösen« nach (siehe Seite 246). Einige weitere haarsträubende
»Irrtümer« in der Werbung für private Rentenversicherungen decken wir im Kapitel »Stiftung Warentest im Renditerausch« auf.
Wie in den meisten Kapiteln sollen Sie am Schluss wieder mitmachen. Also beamen Sie sich mit der Zeitmaschine in das Jahr 1975 zurück, und wagen Sie einen Blick »nur« 25 Jahre voraus auf das Jahr 2000 in Deutschland. Was hätten Sie damals voraussehen können?
Die Älteren sollen sicherheitshalber Ihre Erinnerung mit Fotos und Dokumenten auffrischen, und die Jüngeren sollten das Gespräch suchen; ein Geschichtsbuch wird kaum ausreichen.
Gab es damals schon eine Spur von PCs, Internet, E-Mails oder Handys? Selbst in den bekannten Science-Fiction-Romanen und -Filmen dieser Zeit taucht nichts auf, was an Google oder an ein iPhone erinnert. 9 Selbst wenn die Klügsten schon Ahnungen hatten, konnten sie
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