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Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)

Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)

Titel: Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Bosbach , Jens Jürgen Korff
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die Vorstellung von einem Untergang auch so sehr, dass sie die rettende Option ignorieren.
    Den Versuch der Klimaforscher könnte man, wenn er gelingt, eine sich selbst zerstörende Prognose nennen. Das ist das Gegenteil jener sich selbst erfüllenden Prophezeiungen , die Sie sicherlich aus Ihrem Alltagsleben kennen. Wer mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden ist und sich selbst schon vor dem Frühstück prophezeit, dass alles an diesem Tag schiefgehen wird, wird mühelos dafür sorgen, dass sich seine Prophezeiung bewahrheitet. Das ganze Konzept des positiven Denkens beruht auf der spiegelbildlichen Annahme, dass alles gut wird, wenn wir nur glauben, dass es gut werden wird.
    Diese Phänomene verweisen auf ein grundsätzliches, oft übersehenes Problem: Oft sind die Prognosen selbst Faktoren der Entwicklung, die sie beobachten. Die Prognose selbst beeinflusst also die zukünftige Entwicklung.
    Die häufigste Form der Prognose ist die simple Trend-Extrapolation , bei der man einen Trend, den man über einen begrenzten Zeitraum hinweg beobachtet hat, einfach in die Zukunft hinein verlängert oder auch rückwärts in die Vergangenheit hinein. Dieses Verfahren ist nicht frei von Stumpfsinn, und die Ergebnisse stimmen oft überhaupt nicht. Dazu ein kleines Beispiel aus meiner eigenen Laufpraxis:
Beim Marathonlauf (42 km) erreichte ich zu meinen guten Zeiten eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 14 km/h;
beim Halbmarathon (21 km) waren es 15 km/h;
beim 10-Kilometer-Lauf 16 km/h und
auf der 5-Kilometer-Strecke 17 km/h.

    Das ergab einen »wunderbar eindeutigen« Trend, ein scheinbar feststehendes Verhältnis zwischen der Verkürzung der Laufstrecke und der Erhöhung des Durchschnittstempos: Halbiert sich die Strecke, steigt das Tempo um einen Kilometer pro Stunde. Wäre ich jetzt ein gläubiger Prognostiker – wie es viel zu viele gibt –, würde ich diesen Trend einfach nach vorne und hinten verlängern: Dann käme ich beim 100-Meter-Lauf auf rund 22,5 km/h – das sind 16 Sekunden, für einen engagierten Läufer eine ganz schön lahme Ente! Beim 168-Kilometer-Lauf wäre ich dagegen mit rund 12 km/h in die Nähe der Weltspitze. Beide Extrapolationen sind also völlig unrealistisch, und der kritisch denkende Mensch weiß das eigentlich!
    Eines der schönsten Beispiele dieser Art brachte einst der amerikanische Schriftsteller Mark Twain in einer Satire: »Binnen 170 Jahren hat sich der untere Mississippi um 240 Meilen verkürzt. Das macht im Durchschnitt 1⅓ Meile pro Jahr. Daher sieht jeder, es sei denn, er ist blind oder ein Idiot, dass vor einer Million Jahren der untere Mississippi mehr als 1 300 000 Meilen lang gewesen ist und in den Golf von Mexiko wie ein Angelstock hinausragte. Genau so sieht man sofort, dass in 742 Jahren der untere Mississippi nur noch eine und
dreiviertel Meile messen wird … Das ist das Faszinierende an der Wissenschaft: Man erhält die tollsten Ergebnisse aus so gut wie nichts … « 5
    Viele Entwicklungen verlaufen ungleichmäßig. Der Mississippi verkürzt sich mal schneller, mal langsamer, mal überhaupt nicht, und manchmal verlängert er sich sogar. Das Bruttoinlandsprodukt wächst mal schneller, mal langsamer, und manchmal schrumpft es sogar. Bevölkerungen wachsen viele Jahre lang an, und die Propheten sprechen von Bevölkerungsexplosion und von Kriegen um knappe Ressourcen. Dann schrumpfen sie plötzlich wieder, und die Experten raunen von Geisterstädten und einem Krieg der Generationen. Wir freuen uns lieber darauf, dass bei leicht sinkender Bevölkerungszahl Staus und Warteschlangen schrumpfen, der allgegenwärtige Verkehrslärm etwas nachlässt und in einem ziemlich dicht besiedelten und zersiedelten Land wieder hier und da Urwälder wachsen, Wildkatzen, Fischotter, Luchse und Wölfe leben können. Zum Glück ist ja auch das vorhergesagte Waldsterben weitgehend ausgeblieben.
    Eine Bevölkerungsprognose für die nächsten 50 Jahre ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Das wird klar, sobald wir uns anschauen, was eine Bevölkerungsprognose aus dem Jahr 1950 für das Jahr 2000 alles zwangsläufig übersehen hätte: den Babyboom um 1960, die Antibabypille, den Zuzug der Gastarbeiter und ihrer Familien, den Trend zur Ein-Kind-Familie und zu Single-Haushalten in den 1980er- und 1990er-Jahren, den Zusammenbruch des Ostblocks und den Zuzug von über 3 Millionen Aussiedlern. Strukturbrüche ähnlicher Größenordnung werden auch in Zukunft stattfinden und jede langfristige

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