Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
Achterbahn hat, und blättern Sie einfach zum nächsten Kapitel weiter. Denn jetzt nehmen wir Fahrt auf ins Unglaubliche: das berüchtigte Simpson-Paradox.
Wir besuchen den imaginären Staat Hansistan mit den beiden Bundesstaaten Flachland und Bergland. Da die Bürger in diesen überschaubaren Verhältnissen recht gesund leben, gibt es auch nur drei verschiedene Arztgruppen: Schnibbler, Tröster
und Knochenflicker. Um Fachidiotentum zu vermeiden, werden die Medizinstudenten in allen drei Fachrichtungen ausgebildet und später je nach Bedarf als Schnibbler, Tröster oder Knochenflicker eingesetzt. Allerdings können sie frei entscheiden, ob sie im Flachland oder im Bergland praktizieren wollen. Unter den Ärzteanwärtern gibt es einige, für die das zu erwartende Gehalt das wichtigste Entscheidungskriterium ist. Einer davon, ein gewisser Dr. Scheffel, bereitet sich gut auf die Auswahl des Bundesstaates vor. Mit geschultem Blick wird Scheffel im Statistischen Jahrbuch der Ärzte schnell fündig:
Wo verdienen Ärzte besser – im Flachland oder im Bergland? Im Detail deutet alles aufs Flachland hin.
Ein schneller Blick genügt: Egal, in welcher Fachrichtung ich eingesetzt werde, im Flachland bin ich besser dran. Alles klar, die Entscheidung ist gefallen.
Beim nächsten Treffen mit seinem alten Freund Klettermax, der sich natürlich fürs Bergland entschieden hat, protzt Scheffel mit seiner »klugen« Entscheidung. Er erwartet den Widerspruch, dass Geld doch nicht alles sei. Den bekommt er auch; aber er hat seinen Freund unterschätzt. Auch der hat nämlich recherchiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass seine Entscheidung für die Berge ihm auch finanzielle Vorteile verschaffe. Dazu legt er folgende Statistik vor:
Im Gesamtüberblick scheint das Bergland jedoch vorne zu liegen.
Tatsächlich: Im Bergland sitzen anteilsmäßig mehr Bestverdiener. Jeder Zweite darf sich dort dazu zählen.
Wie immer in solchen Situationen tobt bald ein Streit zwischen den Freunden, wer die besseren und glaubwürdigeren Zahlen ermittelt hat. Überspringen wir also die nächste heftige Stunde und fassen das Ergebnis kurz zusammen: Die letzte Tabelle ist aus der Addition der absoluten Zahlen der
drei Arztgruppen entstanden (mit der dann nötigen Neuberechnung der Anteile). Rechnen Sie es nach: Hier liegt kein Rechenfehler vor. Wir nehmen Sie hier nicht auf den Arm! Vielleicht verstehen Sie jetzt meine Frau besser, die das bei dem ersten Blick während der Zugfahrt nicht glauben wollte. Auch ich selbst war beim ersten Kennenlernen des Simpson-Paradoxons ziemlich perplex.
Bevor wir dem fiktiven Beispiel mit den hansistanischen Ärzten auf den Grund gehen, präsentieren wir Ihnen zur Eingewöhnung ins paradoxe Statistisieren ein weiteres Beispiel, das sich an den klassischen Anwendungsfall anlehnt, mit dem das Simpson-Paradox meist erläutert wird. 4
Im Jahr 1973 wurde die University of California in Berkeley verklagt, weil Frauen geringere Chancen auf einen Graduierten-Studienplatz hätten als ihre männlichen Kollegen. Die Zahlen zeigten nachweisbar, dass 44 Prozent der Männer, aber nur 35 Prozent der Frauen zugelassen wurden. Die Quoten unterscheiden sich so deutlich, dass ein Zufall eigentlich als Ursache auszuschließen war. Die Diskriminierung schien so gut wie bewiesen. Bis man in die Detailuntersuchung ging, um herauszufinden, in welchen Fachbereichen denn da so schamlos Frauen diskriminiert wurden.
Wir vereinfachen das Beispiel hier, damit Sie die Chance haben, selber nachzurechnen. Wir empfehlen Ihnen, das tatsächlich zu tun, weil man nach unserer Erfahrung solche schwierigen Sachverhalte am besten dann begreift, wenn man selber damit arbeitet. Und nicht nur nach unserer Erfahrung! Sie kennen vielleicht das chinesische Sprichwort: »Sage es mir, dann vergesse ich es. Zeige es mir, dann behalte ich es. Lass es mich mit dir tun, dann verstehe ich es.«
Wurden Frauen bei der Bewerbung um Graduiertenplätze tatsächlich benachteiligt?
Bitte rechnen Sie alle fehlenden Zahlen in den grau unterlegten Feldern aus.
Bei korrekter Rechnung ergibt sich eine Gesamtannahmequote von 50 Prozent bei den Männern und von 37,6 Prozent bei den Frauen. (Unsere Rechnung haben wir zum Vergleich am Kapitelende angefügt.) Die Diskriminierung der Frauen scheint also offensichtlich zu sein. Betrachten Sie aber alle Fachbereiche einzeln, kehrt sich das Bild um. In keinem der vier Fachbereiche haben die Frauen schlechter abgeschnitten, die
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