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Luegenbeichte

Luegenbeichte

Titel: Luegenbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Doelling
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so schlapp, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte.
21:51
    Josi lag im Bett, auf dem Rücken, die dünne Decke bis ans Kinn gezogen, wie früher, wenn sie in der Nacht aufgewacht war, weil sie Geräusche gehört und sich gefürchtet hatte. Dann hatte sie nach Papa gerufenund er war in ihr Zimmer getapst, in kurzer Pyjamahose und T-Shirt, und hatte mit dieser Streichelstimme gefragt, ob sie schlecht geträumt hätte. Er hatte ihr die Haare aus dem Gesicht gestrichen und seine weiche, kühle Hand auf ihre Wange gelegt. Meistens war sie gleich darauf wieder eingeschlafen.
    Max – er hatte also auf dem Balkon geraucht und sie hatte davon nichts mitgekriegt. Er hätte auch eine Stunde weg sein können – davon hätte sie genauso wenig mitgekriegt.
    Was wusste sie schon von Max? Sie kannte ihn gerade mal ein paar Wochen. Sie wusste, dass er sein Abi so gut wie in der Tasche hatte, einmal in der Woche bei einem Orthopäden als Aushilfs-Arzthelfer jobbte, Peter Fox und Seeed toll fand, Spontanpartys liebte, große Clubs nervig fand, weil man sich nicht unterhalten und nur tanzen konnte, Stracciatella seine Lieblingseissorte war und dass er Sportmedizin studieren wollte. Sie hatten so viele Gemeinsamkeiten. Und dann war es gestern auch so schön gewesen – wie nie zuvor! Er war feinfühlig, witzig und zärtlich. Sie wusste schon gar nicht mehr, was sie denken sollte. Josefine ging es schlecht, es war ihr noch nie so schlecht gegangen in ihrem Leben. Ihr war, als liefe eine dunkle, kalte Schlucht durch ihren Körper und breitete sich immer weiter in ihr aus. So ein ähnliches Gefühl hatte sie auch gehabt, als ihre Eltern sich getrennt hatten. Da konnte sie ihre Freundinnen mit den »heilen Familien« um sich herum nicht ertragen. Es tat ihr weh zu sehen, wie eine ganze Familie in ein Auto stieg, womöglich noch mit Hund. Sie hatte keine Familie mehr, voneinem Tag auf den anderen war nichts mehr so wie früher, seit dem Tag, als ihre Mutter gesagt hatte, sie müsste jetzt mal mit ihr reden, ihr etwas sagen, was erst einmal ganz schlimm klinge, doch gar nicht so schlimm sei. Josi hatte sich ganz eng an Mama gekuschelt, mit ihrer Giraffe in der Hand, Gina. Sie hatte noch genau vor Augen, wie sie Gina an einem Bein gehalten hatte und ihr Kopf hin und her baumelte. Er stieß dabei immer gegen Mamas Bein.
    Mama sagte, sie würde sich von Papa trennen und mit Josi ausziehen, in einen anderen Stadtteil, nach Kreuzberg. Josi hatte nichts dazu gesagt, nur weiter mit der Giraffe rumgeschlenkert, und dann spürte sie, wie heiß ihr im Gesicht war und wie nass. Sie musste so sehr weinen, dass sie gar keine Luft mehr bekam. Mama hatte sie auf den Schoß genommen. Dann kam Papa und schimpfte mit Mama, weil sie es Josi gesagt hatte.
    »Irgendwann muss man es ihr doch mal sagen!« Mama war aufgestanden, mit Josi auf dem Arm. Dabei war Josi schon in der zweiten Klasse und Mama hatte sie schon lange nicht mehr auf den Arm genommen, weil sie zu schwer für ihren Rücken war.
    »Warum hast du damit nicht auf mich gewartet?«, hatte Thomas gesagt und war hinter ihnen hergelaufen. Josi wollte ihn umarmen, aber ihre Arme hingen zu schwer an ihr herab.
    »Weil du dich wieder rausgeredet hättest. Du bist doch zu feige, endlich auszusprechen, was sie sowieso schon so lange ahnt! Ein Kind spürt so was doch!«
    Und dann war Papa stehen geblieben, mit aufeinandergepresstenLippen, und Josi war die Giraffe aus der Hand gerutscht. Wie oft hatte sie danach geträumt, dass sie ins Leere trat und in ein Loch fiel, als würde sie in eine Höhle einbrechen, wo jemand mit dem Rücken zu ihr hockte und weinte. Und als sie näher heranging, sah sie, dass es ihr Vater war, der dort hockte. Sie wollte die Hand ausstrecken und ihn trösten, aber da verschwand er und sie wachte von ihrem eigenen Weinen auf, schweißgebadet. Jetzt hatte sie genauso ein Gefühl wie nach diesem damals immer wiederkehrenden Albtraum.
    Sie stand auf, trat ans Fenster, auf den Balkon. Hier hatte Max also gestanden und geraucht. Na und!
    Der Garten. Die dunklen Umrisse der Bäume. Die Gartenpforte. Der Trampelpfad. Sie zog die Gardinen zu und trank einen Schluck Wasser.
    Wo war Lou? Und was hatte diese Lilli Sander von ihrem Vater gewollt?
    Bilder fraßen sich durch ihr Hirn wie Holzwürmer durch Barbaras antiken Küchenschrank. Lou, wie er in Brennnesseln lag, Lilli Sander, mit leuchtend roten Lippen und großen, traurigen Augen. – Max – Lilli – Max – Lou. Nein. Lou lag

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