Luegenherz
sie daraus wieder verschwinden würde. Und wenn ich jetzt versage, ist sie sicher weg.
»Also, was ist denn?« Landgrafs Hände legen sich um meine Schultern wie Eisenspangen und drängen mich zu dem Loch.
»Wie tief geht’s da runter?«
»Das sind nur zehn Meter.«
Zehn Meter für die Ewigkeit.
»Mach einfach die Augen zu, bis deine Füße den Grund berühren. Und lass deine Lampe eingeschaltet.«
Und dann schwebe ich in der Luft. Ich muss irgendwas tun, ich halte das nicht aus, ich merke gar nicht, dass ich schreie. Erst als ich tiefer und tiefer rutsche und meine Schreie durch das Echo in der Höhle merkwürdig verzerrt an mein Ohr dringen, wird mir klar, was ich da tue.
»Lass das!«, ruft Landgraf wütend von oben, so als ob ich eine Alternative gehabt hätte, als ob ich nur ein wild gewordener Fußballfan wäre.
»Unterlass das sofort! Du erschreckst die Fledermäuse!«
Fledermäuse? Was denn für Fledermäuse? Davon hat mir natürlich auch niemand was gesagt. Ich habe keine Angst vor Fledermäusen, nur der Gedanke, dass sie in meine Haare … Du hast einen Helm auf und den Ganzkörperanzug. Reiß dich zusammen, Ally.
Ich halte die Hände vor den Mund und versuche, normal zu atmen. Hier unten riecht es streng, nach vermoderten Blättern, nasser Erde und irgendwie süßlich.
Als meine Füße den Grund berühren, zittern meine Knie derart, dass ich mich nicht auf den Beinen halten kann, sondern mit dem Hintern auf den Höhlenboden knalle. Dabei schneiden die Gurte stark ein. Hätte ich doch bloß lange Jeans angezogen!
Gut, dass ich wenigstens Handschuhe anhabe, denn der Höhlenboden, der von oben so sofakissenweich ausgesehen hat, erweist sich jetzt als scharfkantiges Gestein. Außerdem scheint an der Seite eine Schlammader zu verlaufen, denn als ich mich aufstütze, um aufzustehen, sind meine Handschuhe mit hellem Matsch verschmiert.
»Alles okay mit dir?«, fragt Landgraf von oben.
»Ja!«, behaupte ich und versuche, dieses Herzrasen zu ignorieren. Mir kommt es auch so vor, als wäre die Luft hier unten dünner. Ich muss sehr schnell atmen und habe trotzdem das Gefühl, die Luft kommt in meinen Lungen nicht an.
Er landet neben mir.
»Und, was sagst du?«, fragt er stolz, als hätte er diese Höhle erschaffen.
»Umwerfend«, sage ich und da schaut er mir ins Gesicht und fängt an, schallend zu lachen.
»Du bist wirklich so dermaßen komisch!«
Nur langsam dämmert mir, dass er glaubt, ich hätte einen Witz gemacht, weil ich hingefallen bin. Die Höhlenwände drehen sich leicht um mich, ich versuche, weiterhin Luft zu kriegen.
Er macht die Karabiner ab und zeigt nach rechts. »Da lang.«
Seine Helmlampe zeigt auf einen Spalt zwischen den Felsen, der so groß ist, dass ich höchstens dann da reinkäme, wenn ich auf der Stelle hundert Kilo weniger auf den Rippen hätte.
»Niemals«!
»Das ist ein sogenannter Briefkasten, der ist wirklich nur ein ganz kurzes Stück so eng, dann wird die Höhle richtig angenehm weit. Und es lohnt sich, das zu sehen, was sich auf der anderen Seite verbirgt. Vertrau mir.«
Er geht vor und zwängt sich in den Spalt. Von der anderen Seite des dunklen Ganges aus ruft er mir zu: »Hast du gesehen? Das geht ganz leicht: Du ziehst den Bauch ein, drehst den Kopf zur Seite und versuchst, den Rücken an der glatteren Wandseite entlangzuschieben. Komm einfach her und probier es aus. Wusstest du übrigens, dass man eine Höhle nicht klettert, sondern befährt? Das stammt noch aus den Ursprüngen des Bergbaus.«
Er plappert und plappert, während ich versuche, nicht tot umzufallen. Die Höhlenwände sind wie von Krebsgeschwüren überwuchert. Die gelbliche und rötliche Farbe erinnert an ungesunde Schleimhäute, dann wieder wirkt die Farbe blau und grau wie hartes Metall.
Gefangen.
Man ist gefangen in dieser Hölle.
Ich bin gefangen.
Ich versuche, mir nicht vorzustellen, wie viel Tonnen Stein auf mir lasten. Ich versuche zu atmen, ich versuche es. Ein und aus, langsamer, langsamer.
Mila, ich versuche es wirklich.
Ein und aus.
Die Höhlenwände kommen immer näher, egal, wohin ich flüchte, sie umschließen mich, sind ganz nah, drehen sich um mich, zerquetschen mich. Schwarz, es wird schwarz, das Licht ist aus.
Alles ist aus.
Ich ersticke.
Mila.
16. Mila
Zur Hölle! Verdammt, was ist …«, höre ich dumpfes Fluchen, dann Klirren und das Geräusch von Metall auf Fels.
Mist, ich hätte nicht gedacht, dass die zwei soo schnell aus der Höhle wieder draußen
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