Luegenherz
der Hintern mit Polstern verstärkt. Außerdem gibt es Karabiner, dicke Gurte, Seile und zwei Helme mit je drei darauf befestigten Lampen.
»Auf, auf, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
»Aber wo ist denn die Höhle?«, frage ich, weil ich weit und breit keine sehe.
»Dort drüben, hinter dem Stein.« Er weist mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den dicksten Felsen, neben dem der Waldboden jäh abfällt.
Ich setze meinen Rucksack auf, ziehe den Schlaz über meine Jeansshorts, schlüpfe in meine Wanderstiefel und stülpe mir den Helm über – dabei würde ich mich am liebsten einfach umdrehen und Hals über Kopf davonlaufen.
Landgraf schüttelt den Kopf. »So geht das nicht! Du musst unbedingt noch eine lange Hose und einen Pullover unterziehen, da drinnen ist es sehr kalt. Außerdem ist es viel angenehmer.«
»Hab keine lange Hose«, murmle ich verlegen, weil ich ihm zu Hause ja noch was ganz anderes erzählt hatte.
Er gibt mir wortlos einen seiner Pullover. Dann kommt er näher, kontrolliert den Sitz des Helms und macht den Kinngurt enger, dabei berühren seine Fingerspitzen mein Gesicht und den Hals. Er schärft mir ein, genau das zu machen, was er sagt, weil er mir nur so garantieren kann, dass ich wieder heil aus der Höhle rauskommen werde.
Dann nimmt er noch eine Art Flaschenzugvorrichtung mit, fragt mich, ob ich etwas zu essen dabeihabe, und geht zu dem großen Felsen hinüber. Dahinter sind es drei Schritte über dunkelgrünes Moos bis zu einem Erdloch, das kaum größer als ein Kanaldeckel ist.
»Soll das ein Witz sein?«
Er schüttelt den Kopf und legt sich neben das Loch. »Sieht schlimmer aus, als es ist. Komm, leg dich neben mich und schau mal rein. Vorher schaltest du deine Lampe an, dann siehst du, wie geräumig die Höhle ist. Wir seilen uns jetzt ab. Du folgst mir einfach.«
Ich lege mich neben ihn und sehe weit unten etwas aufblitzen. Sehr weit unten. Für mich quasi ein Mount Everest nach unten, ein Weg direkt hinein in das Reich des Todes.
»Schalte die Lampe ein, so siehst du doch nichts.«
Ich liege zitternd vor dem Loch und bin gleichzeitig wie gelähmt. Landgraf beugt sich zu mir und schaltet die Lampe an, indem er daran dreht. Trotz des durchdringenden Schweißgeruchs der Ausrüstung steigt mir der Duft seines Rasierwassers in die Nase.
»Ahh!« Die Lampen zeigen erst, wie tief es wirklich nach unten geht. Die absolute Hölle! Obwohl meine Augen flimmern, muss ich zugeben, dass es dort unten grandios aussieht: Dicke, wie weiche Kissen wirkende Ablagerungen aus scheinbar schimmerndem Perlmutt. Trotzdem kann ich nicht länger hinschauen. Selbst wenn es wie aus Tausendundeiner Nacht aussehen würde, könnte ich nicht vergessen, dass es unter der Oberfläche ist, sich Tonnen von Erde über mir stapeln und ich eingeschlossen wäre wie in einem steinernen Sarg.
Ich richte mich auf, sorgsam darauf bedacht, nicht in das Loch zu fallen. Landgraf reicht mir die Hand und hilft mir beim Aufstehen. Meine Beine zittern, als er mich in einen Gurt steigen lässt, der mich wie eine Art Sitz festhält. Dann legt er mir einen Gurt um Hals und Schultern und hakt diesen in die Vorrichtung vorm Bauchnabel ein. Diese Vorrichtung klinkt er mit einem Karabiner in ein Seil, das über einen Haken in der Felswand verläuft.
»Niemals.«
Er schaut mich fragend an.
»Da runter gehe ich nur über meine Leiche.«
Verblüfft starrt mich Landgraf an. »Du hast doch gesagt, du hättest keine Klaustrophobie, sondern nur ein bisschen Angst.«
»Klaustrophobie hab ich auch nicht.« Keine Ahnung, was das ist, was ich habe: Herzrasen, Atemstillstand, dann nach Luft japsen, zitternde Beine, kalter Schweiß, der mir den Rücken hinuntersuppt, und brennende Hitze im Bauch, die sich lohend ausbreitet.
»Gut, dann mal los.«
Mila, denke ich, Mila, meine Rettungsboje, bevor ich in Angst ertrinke. Ich versuche, klar im Hirn zu bleiben, während mein Körper längst eine Entscheidung getroffen hat: Niemals im Leben werde ich da runterklettern. Doch mein Kopf ist anderer Meinung, er sagt mir, ich muss da rein, sonst geht der Landgraf kein zweites Mal mit mir in eine Höhle und dann wird es nie die Bilder geben, die wir brauchen. Die Mila braucht. Ich versuche, mir ihr Gesicht vorzustellen, nicht immer nur die Narben. Ihr Gesicht, die wunderschönen enzianblauen Augen, ihren Herzmund und diese hochgewölbte Stirn, die sie immer runzelt, wenn ich für ihren Geschmack zu langsam denke. Wie öde wäre mein Leben, wenn
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