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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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muss blinzeln, in der ersten Schrecksekunde hab ich alles nur verschwommen gesehen und gedacht, es wäre Landgraf. Aber der ist es nicht.
    »Mila«, flüstert er so leise, als hätte auch er Angst, entdeckt zu werden. »Ich verstehe deinen Zorn, aber was du tust, ist Irrsinn. Gib mir die Kamera von meinem Bruder zurück und vergiss das Ganze.«
    »Wie lange spionierst du mir schon hinterher?«
    »Lange genug, um zu wissen, dass du genau das tust, wovor ich dich gewarnt habe. Versteh es doch endlich: Das, was du hier machst, ist schlecht für dich, für deine Seele – und ändern wird es auch nichts, sondern dir nur Schmerzen bereiten.«
    Ich starre ihn wütend an und plötzlich ändert sich sein Tonfall: »Mila, hör auf damit oder ich werde mit deinem Vater reden!«
    »Geh mir aus dem Weg, du nervst! Und du hast keine Ahnung.«
    Er ist noch höher gekommen und versperrt mir mit seinem muskulösen Körper den Rückweg. Das macht mich so wütend, dass ich ihm die Kamera am liebsten ins Gesicht schleudern würde. Ich muss all meine Muskeln fest anspannen, um es nicht zu tun.
    »Aus dem Weg jetzt!«, herrsche ich ihn an.
    »Sofort, nachdem du mir die Kamera und die Bilder gegeben hast.« Er streckt eine Hand danach aus.
    Gut, mit nur einer Hand kann man sich an dem morschen Ding nur sehr schlecht festhalten. »Nur über meine Leiche.«
    Er grinst, als hätte ich einen Witz gemacht. »Mila, das ist vollkommen verrückt. Sei doch vernünftig. Du solltest lieber mit allen Beteiligten darüber reden.«
    Reden? Beinahe hätte ich laut gelacht. Reden! Es wurde schon viel zu viel geredet und was hat es geändert? Nichts. Der Landgraf ist nur mit Taten zu stoppen. Ich merke, wie es in meinen Adern brodelt, wie meine Haut sich enger und enger um mein pulsierendes Blut zusammenzieht und Erlösung braucht. Wenn ich jetzt zu Hause wäre, könnte ich mir Erleichterung verschaffen, aber so brodelt es weiter.
    Da steht er und schaut mich an. Nein, ich bin nicht verrückt. Im Gegenteil, es ist allerhöchste Zeit, Landgraf zu stoppen, den ganzen Wahnsinn zu stoppen. Hier spinnt definitiv nur einer, nämlich er und ich tue, was ich schon lange hätte tun sollen: Ich schaffe ihn aus dem Weg. Verschaffe mir Platz.
    Ich stehe auf und trete nach Tom, weil er das letzte Hindernis zu meinem Sieg über Landgraf ist. Er reißt überrascht seine Augen auf, dann versucht er, mir auszuweichen, aber er bewegt sich zu heftig, das morsche Ding knarzt und dann zerbirst eine Stufe, er sackt auf die nächste, die wieder zerbricht und so geht das in Sekundenschnelle weiter, bis er ganz unten aufkommt. Dann ist es plötzlich entsetzlich still.
    Ich beuge mich über den Rand der Plattform.
    Er liegt merkwürdig verdreht dort unten.
    Und jetzt, Mila, was jetzt? Ich weiß, ich sollte ihm helfen, aber dann fliegt alles auf, mein ganzer Plan wäre umsonst gewesen. Und das kann ich nicht mehr riskieren. Es muss endlich Schluss sein. Er hätte sich mir nicht entgegenstellen, sondern mich einfach in Ruhe lassen sollen. Jetzt, nachdem mit Ally alles so perfekt läuft.
    Ich schaue noch mal zu ihm hinunter. Er atmet.
    Gut.
    Er lebt, aber in dem Zustand kann er mich nicht aufhalten. Niemand wird mich mehr aufhalten.
    Jetzt muss ich nur noch sehen, wie ich hier runterkomme. Zum Glück habe ich in meinem Wanderrucksack immer ein Seil. Für irgendwas muss es ja gut sein, wenn man von klein auf zum Wandern und Klettern gezwungen wurde.

17. Ally
    Mir ist dermaßen elend. Nicht nur, weil es so heiß ist. Egal wie ich mich hinlege, ob ich mein Kissen unterm Nacken zusammenknülle oder die Füße an die Wand stütze, ich fühle mich, als hätte ich viel zu viel getrunken und geraucht. Meine Haut klebt, mir ist schwindelig und übel und ich wünschte, ich wäre tot. Ich möchte nie mehr aufstehen und bei dem Gedanken an die Schule wird mir schwarz vor Augen. Ich bin einfach in jeder Hinsicht eine Versagerin.
    Aber das Allerschlimmste ist nicht, dass ich zusammengeklappt bin, sondern wie rührend der Landgraf zu mir war. Kein Getätschel, nicht mal der kleinste Versuch, rein gar nichts. Er hat sich eher wie ein väterlicher Arzt verhalten. Ich meine, er hat mich sogar gestützt, als ich mich übergeben musste, da läuft es mir jetzt noch kalt den Rücken runter.
    Er hat darauf bestanden, dass wir ins Krankenhaus fahren, aber ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Auf der Heimfahrt war er dann sehr still und hat mich die ganze Zeit so merkwürdig von der Seite

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