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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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kotzt mich an, ehrlich.«
    Mila steht auf und rennt zur Tür, kommt zurück, holt die Fotos, die auf dem Bett liegen, packt sie ein und stürmt davon.
    In meinem Kopf dreht sich alles. Was für ein Teufel hat mich nur geritten, von einem Opfer zu reden? Das war nicht fair. Das war wirklich mies von mir, sie hat recht. Niemand hat mich dazu gezwungen. Ich wollte etwas Heldenhaftes für Mila tun, ihr helfen, aber alles ist anders gelaufen, als ich es mir vorgestellt habe.
    Kraftlos lasse ich mich in meine Kissen fallen. Ich habe keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll. Fühle mich, als hätten Vampire alles Leben aus mir ausgesaugt und nur noch eine leere Hülle übrig gelassen. Doch je länger ich in meinem Bett liege, desto deutlicher merke ich, wie sich in meinem Körper etwas ausbreitet, durch meine Adern vibriert, mein Herz hektisch pulsieren und meine Arme schwer wie Blei, meine Beine wie gelähmt sein lässt. Es ist keine Wut auf Mila, es ist auch nicht Ratlosigkeit wegen Landgraf. Nein, das, was ich spüre, ist einfach nur Angst. Nackte Angst.

18. Mila
    Sich geopfert! Unfassbar.
    Ich renne und renne, ohne nachzudenken, und stehe plötzlich an der Isar, als hätte ich die ganze Zeit ein Ziel gehabt.
    Auch gut, aber ich kann mich nicht hinsetzen, dazu bin ich immer noch viel zu wütend, zu kribbelig, ich muss irgendwas tun, um mich abzureagieren. Ich bücke mich, suche dicke Isarkiesel und schmettere sie ins Wasser.
    Was bildet Ally sich eigentlich ein? Von wegen, sie hätte sich geopfert! Dabei war sie doch ganz scharf darauf, den Landgraf reinzulegen. Ich muss aufpassen, dass sie mir nicht genauso entgleitet wie Tom, der Idiot. Der hat anfangs auch immer davon geredet, wie gern er mir helfen will, aber als es dann konkret wurde, hat er den Schwanz eingezogen.
    Ich greife mir einen besonders dicken Stein und schleudere ihn so weit es geht. Er versinkt ohne protestierendes Plätschern einfach so in der Strömung. Tschüss Tom, denke ich und sofort schäme ich mich für diesen Gedanken. Denke daran, wie er auf dem Waldboden gelegen hat, so merkwürdig verkrümmt. Doch dann nehme ich den nächsten Stein und werfe ihn voller Hass ins Wasser. Schluss mit dem Scheißmitleid! Mir tut niemand mehr leid. Dazu müsste ich Menschen vertrauen können, aber ich hab schon vor langer Zeit kapiert, dass das unmöglich ist. Vertrauen ist nichts anderes als freiwillige Blindheit, nur eine Verkrüppelung also, und wenn man seine Augen aufmacht, dann bedeutet das unweigerlich Schmerz. Aber der ist wenigstens echt. Ich suche mir einen Kiesel mit einer scharfen Kante.
    Alle viel zu abgeschliffen! Ich feuere noch eine Handvoll ins Wasser und verscheuche so ein paar aufdringliche Enten.
    Mein Abgang eben war trotzdem schlecht, ich darf es nicht überstrapazieren, dass Ally ein Faible für mich hat. Wenn ich Pech habe, klappt sie ihre Austernschalen in Kürze wieder zu. Aber wie hätte ich ihr auch erklären können, woher ich wusste, in welche Höhle sie unterwegs waren? Die Wahrheit würde sie schockieren und trotzdem würde sie mich dann abhalten wollen, so wie Tom es versucht hat.
    Ich ziehe meine Schuhe aus und wate schnell über die Steine tief in das kalte Wasser hinein. Es fühlt sich an, als ob man über einen Fakirteppich gehen würde. Die spitzen Kanten schneiden in die Fußsohlen. Gut. Ich beuge mich vor, spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und hoffe, die Abkühlung hilft mir dabei, einen Plan B zu entwickeln.
    Die Enten schwimmen schon wieder zu mir her, hoffen auf etwas zu fressen, schätze ich. Hoffnungslos dämlich, selbst wenn ich einen dicken Stein nach ihnen schleudern würde, kämen sie wieder angeschwommen.
    Im Prinzip habe ich jetzt alles, was ich brauche – ganz egal, ob Ally einverstanden ist, die Fotos zu verwenden. Ich könnte sie ins Netz stellen, nach dem Motto »Lehrer bei der Arbeit« oder »Betreuer gestörter Jugendlicher bei der Sozialarbeit«.
    Einmal reingestellt, kriegt man sie nie mehr raus. Und ich könnte sie telefonisch den Zeitungen anbieten und mich als Ally, das Opfer, ausgeben.
    Ich spüre meine Füße fast nicht mehr, so kalt ist das Isarwasser immer noch, trotz dieser Hitze. Ich wate ans Ufer und bin endlich ruhig genug, um mich hinsetzen zu können.
    Mein Handy klingelt, es ist Ally.
    Mein erster Impuls ist, das Handy wie einen Stein im Wasser zu versenken, aber ich bin neugierig, und auch wenn ich das nicht wahrhaben will, tut sie mir irgendwie doch leid. Dabei ist Mitleid für

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