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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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angestarrt. Ich dachte schon, jetzt legt er gleich seine Hand auf meinen nackten Oberschenkel und es geht los, aber nein. Er hat sich vollkommen korrekt benommen. Und als er mich zu Hause abgeliefert hat, wollte er noch etwas sagen, hat sogar mehrere Anläufe genommen, es dann aber doch gelassen. Schließlich hat er laut geseufzt, mir kurz zugenickt und weg war er.
    Ich habe mich erst mal eine halbe Stunde geduscht, danach bin ich ins Bett gefallen, so erschöpft, als hätte ich wirklich den Mount Everest bestiegen.
    Und hier liege ich jetzt seit gestern Mittag und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Mila hat ein paarmal angerufen, aber ich wollte nicht rangehen. Nach der ganzen Sache gestern weiß ich wirklich nicht mehr, wie ich über den Landgraf denken soll – und das kann ich Mila auf keinen Fall sagen.
    Mams und Jury haben auch auf die Mailbox gesprochen, aber ich habe die Nachrichten noch nicht abgehört.
    Das einzig Gute an diesem Wahnsinn ist, dass ich mir im Bett ein paar Skizzen gemacht habe. Diese wie Schleimhaut aussehenden Gewächse in der Höhle, die haben so etwas Albtraummäßiges, das könnte irrer Schmuck werden, wenn es mir gelänge, diesen Eindruck umzusetzen. Vielleicht könnte man einen glatten fleischfarbenen Schimmer erzeugen, wenn ich es mit einem Überzug aus Emaille versuchen würde …
    Es klingelt, diesmal an der Tür. Das kann nicht Jury sein, der läutet penetrant und auch nicht Mams, die läutet, als hätte sie nur versehentlich auf den Knopf gedrückt, als würde längeres Klingeln bedeuten anzuerkennen, in welcher Bruchbude ich wohne.
    Mila also.
    Ich quäle mich aus dem Bett zur Tür und mache auf.
    Sie kommt hereingestürmt, als hätte es nicht dreißig Grad draußen.
    »Ally, du bist die Größte!«, brüllt sie schon über den Hof und dann fällt sie mir um den Hals und drückt mich fest an sich.
    Das fühlt sich gut an, ihre Haut wirkt kühl und trocken. Aber ich kann ihre Umarmung nicht genießen, weil ich sie bestimmt gleich sehr enttäuschen werde.
    »Wieso sollte ausgerechnet ich die Größte sein?«, frage ich.
    Sie lässt mich los, holt einen Stapel Fotos aus ihrem Rucksack und wedelt damit vor meiner Nase herum.
    »Deshalb! Ich wusste gar nicht, was für eine grandiose Schauspielerin du bist.«
    »Ich versteh immer bloß Bahnhof.«
    »Schau doch mal!« Sie hält mir den Stapel direkt unter meine Nase. Ich greife danach, ohne eine Ahnung zu haben, was auf den Bildern drauf sein könnte.
    Mein Blick senkt sich auf die Fotos und ich kann nicht glauben, was ich da sehe. Mein Gehirn weigert sich, diese Bilder mit mir in Verbindung zu bringen, und doch bin das ganz eindeutig ich.
    Völlig apathisch schaue ich mir ein Foto nach dem nächsten an. Es sind so furchtbare Bilder: Landgraf, wie er sich mit einem sanften Lächeln über mich beugt, während ich wie tot daliege. Landgrafs Hände, die meinen Fuß packen. Landgraf, der sich von hinten an mich drängt, ich vornüber gebeugt – dass ich mir dabei die Seele aus dem Leib kotze, sieht man auf dem Bild nicht.
    Elend, mir ist so elend. Ich fühle mich ganz schwach. Doch dann plötzlich bilden sich Fragen, steigen auf wie Sprudelblasen, die nach oben strudeln und an der Oberfläche explodieren.
    »Mila, wo kommen diese Bilder her?«, frage ich und muss mich räuspern, obwohl ich so wütend bin.
    Mila geht einen Schritt zurück und starrt mich entgeistert an. »Das weißt du doch, das haben wir schließlich so verabredet.«
    Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll nachzuhaken. »Aber wir waren doch gar nicht in der Angerlochhöhle – woher hast du also gewusst, wo wir sind?«
    Milas Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. »Bestimmt nicht von dir, du hast mich nicht mal angerufen.«
    »Ich hab’s versucht, aber dort im Wald war kein Empfang. Also, woher wusstest du das und warum hast du mir nicht signalisiert, dass du in der Nähe bist?«
    Sie sagt keinen Pieps, sondern starrt stur auf den Boden.
    »Ich bin tausend Tode gestorben, weil ich dachte, ich bin ganz allein mit ihm. Und dann noch mal hunderttausend Tode, weil ich in der Höhle solche Angst hatte.«
    Sie reagiert immer noch nicht. Wütend gebe ich ihr einen Schubs, sie soll verdammt noch mal was dazu sagen! Aber sie schweigt. Ich muss an mich halten, sie nicht noch härter zu stoßen.
    »Und dabei hast du die ganze Zeit im Gebüsch gehockt und Fotos von mir gemacht, von meiner Ohmacht!«
    Jetzt hebt Mila den Blick und schaut mich endlich an. »Bist du

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