Lügennetz: Thriller (German Edition)
Handschellen anlegen ließ, bevor sie es gemeinsam im Hausmeisterraum trieben.
Und genau das passierte laut seiner Aussage an dem Morgen, bevor sie als vermisst gemeldet wurde. Er behauptete, er sei nach seiner Schicht mit einer anderen Frau, seiner Verlobten, im Miami Seaquarium gewesen, und zwar den ganzen restlichen Tag. Doch als die Polizei sein Alibi überprüfte, leugnete seine Verlobte alles. «
» So ein Quatsch « , sagte ich.
» Das meine ich auch « , bestätigte er. » Deswegen hat meine Kanzlei mir den Fall übertragen, nachdem Harris’ erster Anwalt Immobilienkunden betrogen hatte. Sehen Sie, auch ich war mal so schwachsinnig und habe Harris geglaubt. Jedenfalls so weit, dass ich den Fall vor Gericht vertreten habe. «
» Was ist vor Gericht passiert? «
» Die Geschworenen glaubten nicht, dass ein armer, schwarzer Gefängniswärter einvernehmlichen Sex mit einer engelsgleichen weißen College-Studentin haben konnte, die dort freiwilligen Dienst schob. Fosters Mutter saß in der ersten Reihe und schrie jedes Mal hysterisch auf, wenn von der Beziehung zwischen ihrer Tochter und Harris geredet wurde. Auch die Geschworenen waren nicht scharf darauf, so was zu hören. Ein gefundenes Fressen. Mord, auf den die Todesstrafe steht. « Er gähnte und leckte sich Senf vom Finger. » Ein Jahr später verließ ich die Kanzlei. Konnte vermutlich nicht aufhören, darüber nachzudenken. So, das war’s. Auf die Schnelle. Der Versuch, Harris aus seinem Loch zu buddeln, hat mich so ziemlich alles gekostet. Wie wollen Sie das in einer Woche schaffen? «
» Ich weiß nicht « , antwortete ich. » Aber ich werde etwas tun, was Ihnen dieses Jahr vielleicht noch nicht in den Sinn gekommen ist. «
» Echt? Was denn? « Charlie richtete sich auf.
» Ich werde es versuchen « , versicherte ich ihm.
7 5
Um vier Uhr nachmittags landete mein gechartertes Flugzeug in Raiford in der Nähe von Jacksonville in Nordflorida, wo Harris in der Todeszelle saß.
Kaum ein anderer Ort lag in Florida weiter weg von Key West. Noch ein Stück, und man würde über die Staatsgrenze stolpern. Charlie hatte Harris vorgeschlagen, sich einen Anwalt vor Ort zu nehmen, weil das praktischer wäre, doch Harris hatte keinen anderen haben wollen. Entweder Charlie oder keiner, hatte Harris gesagt. Was mich an Harris’ Urteilsvermögen zweifeln ließ.
Ich ging an einer kleinen Gruppe Demonstranten vorbei, die gegenüber vom Hochsicherheitstrakt auf ihren im braunen Gras geparkten Autos saßen. Eine wie eine Obdachlose aussehende Jugendliche in altem Blümchenkleid wedelte mit einem Schild in meine Richtung. » Weg mit der Todesstrafe. Lasst Justin Harris frei! « , stand darauf.
» Ich tue mein Bestes « , murmelte ich, als ich mich dem Stacheldrahtzaun des Gefängnisparkplatzes näherte.
Mit den Königspalmen, den Hecken und der weiß gekalkten Missionsarchitektur wirkte der Eingang mehr wie der zu einem Kurhotel aus dem neunzehnten Jahrhundert als wie zu einem Gefängnis.
Dieser Eindruck war aber im Nu verflogen, als ich eintrat und das Innendekor aus Beton und Stahl sah. Den Knall, als das Tor hinter mir ins Schloss fiel, spürte ich genauso, wie ich ihn hörte. Ich betrat zum ersten Mal in meinem Leben ein Gefängnis. Filme werden dem deprimierenden Schrecken nicht gerecht.
Von überall her drang der Lärm von rufenden Stimmen, laut aufgedrehten Fernsehern, Toilettenspülungen und schepperndem Stahl an meine Ohren.
Ich dachte an den Abend am Strand damals, vor langer Zeit. An Ramón Peña. An das Schicksal, dem ich entkommen war.
War ich das überhaupt? Jedes Mal, wenn ich dachte, ich hätte die Sache hinter mir, schien sie immer wieder wie ein Schachtelmännchen vor mir aufzuspringen.
Nachdem meine Tasche überprüft worden war, wurde ich von einem stummen, breitschultrigen Latino einen kahlen Zementflur entlanggeführt. Ich musste zwanzig Minuten warten, bis Justin Harris, dessen Hand- und Fußgelenke über eine Kette aneinander gefesselt waren, in den Besucherbereich des Todestrakts hoppelte. Der Wachmann, der ihn hereinführte, kettete ihn wie ein wildes Tier an einen Eisenring, der neben dem Tisch aus dem Boden ragte.
Weit entfernte sich der Wachmann nicht, sondern beobachtete uns aufmerksam von der anderen Seite eines großen Drahtglasfensters aus.
Nun saß ich Justin Harris leibhaftig gegenüber. Er war schwerer als auf dem Bild aus den Nachrichten, war fett geworden, und seine massiven Arme und Schultern und sein
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