Lügennetz: Thriller (German Edition)

jungenhaft. Er kam mir eher wie ein Landschaftsgärtner als wie ein Anwalt vor. Einen mit Augen in der Farbe des Himmels hatte ich am Abend zuvor von meinem Balkon aus gesehen, aber darum ging es jetzt ja nicht.
    » Harris’ Sarg? « , vergewisserte er sich mit einem Grinsen. » Klingt echt geil. Langsam werden Sie mir sympathisch. Nennen Sie mich Charlie. Wann werden sie den Namen Ihrer Kanzlei in Scott, Maxwell und Seelenlose Schlampe ändern? «
    Ich wich seinem Blick nicht aus, sondern lächelte ihn das erste Mal an. » Bitten Sie mich hinein, dann können wir das besprechen, Charlie. «

7 4
    Die Hälfte seines Hauses war wunderschön: lackierte Dielen aus goldfarbener Elliott-Kiefer, vollständig restauriertes geschwungenes Geländer und Treppenhaus, weiße Küche mit passendem Marmor wie aus dem » Architectural Digest « . Die andere, schäbige Hälfte mit kaputten Gipswänden und Spachtelmasseeimern voller Müll hatte verblüffende Ähnlichkeit mit einer Drogenhöhle.
    Zum Glück wurde ich rasch durch die Baustelle in ein hinter der Küche liegendes, perfekt eingerichtetes Büro mit Eichenpaneele bugsiert.
    Charlie ließ die Doughnut-Schachtel auf seinen Schreibtisch fallen und holte eine Dose Bier aus einem Minikühlschrank.
    » Ist der Orangensaft alle? « , fragte ich und sah auffällig auf meine Uhr.
    » Das ist unser Orangensaft hier in Key West « , erwiderte er, öffnete die Dose und nahm einen Schluck.
    Ich fiel fast in Ohnmacht, als ich das gerahmte Harvard-Jura-Diplom an der Wand entdeckte, in der unteren rechten Ecke ein Magna-cum-laude-Abzeichen.
    » Beeindruckend, ne? « , sagte er und schaukelte auf seinem Stuhl vor und zurück. » Summa cum laude habe ich um null Komma sechs Punkte oder so was verpasst. Ich wollte eigentlich nach Yale, aber deren Rugby-Mannschaft stieg genau in dem Jahr ab. « Er nahm einen langen Schluck, rülpste und griff zu einem geschrotteten Creme-Doughnut.
    » Und was machen Sie hier unten? « , wollte ich wissen.
    » Und schuld daran sind nur die Frau’n « , sang er mit vollem Mund. » Aber ich weiß… «
    » Halten Sie bitte den Mund « , unterbrach ich ihn.
    » Gut « , sagte er kauend. » Wie alle anderen auch bin ich so weit in den Süden gegangen, bis es kein Süden mehr gab, in das man noch gehen konnte. Das Haus hier stammt von meinem Großvater. Er war texanischer Ölmann und hat es als Siebzigjähriger beim Pokern gewonnen. Laut Familienlegende kam er her, sah sich kurz um und telegrafierte nach Hause: ›Wenn alles klappt, werde ich nie wieder nüchtern sein.‹ «
    » Rührende Geschichte « , sagte ich.
    » Egal. Vor ein paar Jahren habe ich das Haus und seine verstaubte Werkzeugkiste geerbt. Wenn ich dieses Baby zu seinem ehemaligen Glanz verholfen habe, weiß ich nicht, was ich dann tun werde. Ein Freund von mir arbeitet beim Heim- und Gartenfernsehsender. Er sagte, ich wäre der Favorit für einen dieser kerligen Zimmermänner. Wie viel, meinen Sie, kann man damit verdienen? «
    » Sie sind zu alt « , antwortete ich.
    Er spülte den Rest des Doughnuts mit einem Schluck Bier herunter und brummte. » Erzählen Sie es niemandem, aber ich bin auch dabei, der nächste John Grisham oder Ernest Hemingway zu werden. Waren Sie schon in Papas Haus? Wussten Sie, dass einige der Katzen dort sechs Zehen haben? «
    » Wussten Sie, dass sich Hemingway mit einem Gewehr das Hirn weggepustet hat? « , konterte ich rasch. » Das mag ja alles spaßig sein, aber wir müssen den Fall durchgehen. Ich habe zwar die Infos, aber ich würde gerne mit Ihren eigenen Worten hören, so auf die Schnelle, warum die Sache in die Hose gegangen ist. «
    » Auf die Schnelle « , wiederholte Charlie. » Okay, mal sehen. Die Sache ging möglicherweise ungefähr ab dem Zeitpunkt in die Hose, als die Polizisten sagten: ›Hey, Harris, du hast das Recht auf einen Anwalt‹, und Harris nicht fragte: ›Wo ist das Telefon?‹ « Er lehnte sich auf seinem Drehstuhl zurück, die Dose auf seinem nackten Bauch abgestützt. » Harris war sein eigener Albtraum. Zuerst erzählt er der Polizei, er würde Foster nicht kennen. Lüge Nummer eins. Dann, als er mit den DNS -Ergebnissen konfrontiert wird, behauptet er, sich zu erinnern, im Gefängnis, wo sie ehrenamtlich im Büro arbeitete, einvernehmlichen Sex mit ihr gehabt zu haben. Er sagte, die Musikschülerin war, Zitat Anfang: ›Echt ein bisschen ausgeflippt‹, Zitat Ende. Dass sie ihn gerne schlug und kratzte und sie sich von ihm gerne