Luegenprinzessin
dem der Kanarienvogel ihrer Großeltern gestorben war.
»Oh Diana«, flüsterte ich und legte den Arm um sie. »Das wird alles wieder. Alles wird gut.« Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte, und hoffte ja selbst, dass alles irgendwann wieder gut werden würde.
Sie schüttelte den Kopf, weinte leise weiter.
»Hast du Liebeskummer? Gibt es jemanden?«, fragte ich sie vorsichtig.
Wieder schüttelte sie den Kopf. Dann hob sie das Kinn und wischte sich energisch die Tränen weg. »Sorry, dass ich dich vollheule. Du hast recht, das wird schon wieder«, sagte sie mit fester Stimme.
»Nein, Diana. Mach nicht wieder zu.« Hilflos schnalzte ich mit der Zunge. »Ich weiß nicht, warum du glaubst, dass du immer stark sein musst. Ich weiß nicht, wie ich dir klarmachen kann, dass du auch Schwäche zeigen darfst.«
»Das ist mir doch eh klar.« Schon klang sie wieder wie die gewohnte Diana, bockig und ungeduldig. »Jeder Mensch darf Schwäche zeigen, ist doch logo.«
»Warum tust du es dann nie?«
»Hab ich ja gerade getan.« Herausfordernd sah sie mich an. Plötzlich begannen wir beide zu lachen.
Ihr Gesicht nahm als Erstes wieder einen ernsten Ausdruck an. »Tut mir leid, dass ich immer so ausflippe. Ich kann mich selbst nicht ausstehen, wenn ich so bin. Aber –« Sie machte eine lange Pause, ich hütete mich davor, diese zu unterbrechen. Endlich sagte sie: »Meine ganzen Gedanken drehen sich nur darum. Ich hab solche Angst. Hab keine Ahnung, wie das später werden soll. Und dann dieses ganze Gelaber von Chris von wegen Nachwuchs. Blond, braun, grün, pink, getupft, ist doch ganz egal, Hauptsache, man kann überhaupt ein Kind haben. Das möchte ich nämlich, weißt du? Und dabei fühle ich mich jetzt schon so unter Druck, alle um mich herum haben ihr erstes Mal, nur ich nicht. Ich hab Angst, dass die anderen es merken, und auf der anderen Seite hab ich Angst, dass ich es… nie… na ja, nie ausleben werde.« Sie schluckte. »Das, was ich gestern Nacht gesagt hab, dass ich es schon getan habe – das stimmt gar nicht.«
Jetzt wäre der Zeitpunkt gewesen zu erzählen, dass ich genauso gelogen hatte. Innerlich machte ich drei Anläufe, es ihr zu sagen, aber mir fehlte schlicht der Mut. Und ich fand, dass sie eine wirklich gute Ausrede hatte, in dem Fall zu schummeln, eben damit erst gar kein Gerede über sie entstand, damit die anderen sie für alle Zeiten mit dem Thema in Frieden ließen. Aber was war meine Ausrede? Ich verpasste meine Chance auf Ehrlichkeit, denn von draußen waren auf einmal Schritte zu hören.
Wir warteten beide darauf, dass jemand ins Zelt kam, was jedoch nicht geschah.
»Wo sind die anderen eigentlich?«, wollte Diana wissen.
»Essen jagen.«
»Ah ja, ist es schon so weit.«
Das heutige Mittagessen wurde nämlich nicht normal serviert, sondern die Teilnehmer mussten sich ihre Kost selbst suchen, beziehungsweise jagen oder fangen. Ich hatte keine Ahnung, wie genau das funktionieren sollte, und war sogar ein bisschen neugierig gewesen, was Norbert und Willi sich wohl hatten einfallen lassen. Aber im Moment war ich froh, dass ich mich gegen den Spaß und für Diana entschieden hatte.
»Mr Bean hat gesagt, dass das gefundene Essen sowieso zusammengelegt und gerecht aufgeteilt wird, wir werden also auch was abbekommen.«
Diana nickte. »Cool.« Sie räusperte sich. »Ich muss mal, bin gleich wieder da.«
»Klar.« Ich nutzte die Zeit, um die eine Linse aus dem Auge zu holen und meine verhasste Brille aufzusetzen. Himmelschimmel, warum nur hatte ich vergessen, Ersatzlinsen einzupacken. Diese Brille hatte ich schon seit vier Jahren. Auch da war sie nur als Linsenersatz gekauft worden, getragen hatte ich sie nie, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Die Fassung war violett mit lauter roten Kussmündern drauf, ein absolutes No-Go. Meine Mutter hatte mich immer wieder zum Optiker schleifen wollen, um mir endlich eine neue machen zu lassen, aber ich hatte mich immer geweigert, weil ich ja sowieso nicht mit Brille herumlaufen wollte. Für die paar Tage hatte ich sie nur eingesteckt, falls ich in der Nacht mal aufs Klo musste.
Wieder hatte ich das Gefühl, dass sich jemand dem Zelt näherte, und hoffte insgeheim, dass es David war. Die Vorstellung, dass er hereinkam, mich alleine vorfand, sich zu mir kniete und mich genauso innig küsste wie am Morgen, war absolut berauschend. Für einen kurzen irrigen Moment wünschte ich mir sogar, dass er mich hier auf der Stelle entjungferte, damit die
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