Luegnerin
klingt?
Meine Augen brennen. Ich werde jetzt nicht vorYayeko weinen. »Es gab keinen Unfall. Meine Eltern haben mich rausgeschmissen.«
»Sie haben dich rausgeschmissen?«, fragt Yayeko mit vor Erstaunen geweiteten Augen. »Aber deine Eltern wirken so nett.«
»Ja. Nein. Es ist eine lange Geschichte. Kann ich es Ihnen erzählen?«, frage ich und versuche, nicht so verzweifelt zu klingen, wie ich mich fühle. »Ich meine, haben Sie jetzt Zeit?«
»Wo schläfst du jetzt?«, will Yayeko wissen.
»Nirgends. Sie haben mich rausgeschmissen. Ich kann nirgendwo anders hingehen.« Mir ist klar, wie albern das klingt. Ich will ja nicht betteln, aber genau das tue ich soeben. »Ich hab kein Geld.«
»Haben sie dir keins gegeben?«
Ich schüttele den Kopf. Haben sie wirklich nicht. Ich hab den ganzen Koffer gründlich durchsucht, aber da war nichts.
Yayeko mustert mich eingehend. Sie wägt ihre Alternativen ab, und mir wird klar, um wie viel ich sie hier eigentlich bitte. Ich war immer ihre Lieblingsschülerin, aber reicht das aus, damit sie mich in ihr Leben lässt? Das könnte erhebliche Scherereien bringen. Das wird es. Ich konzentriere mich darauf, nicht zu weinen.
»Ja«, sagt sie schließlich. »Aber nur, bis wir etwas Besseres finden. Okay?«
Ich nicke und nehme ihre Einkaufstasche. Ich versuche, danke zu sagen, obwohl das Wort nicht annähernd so stark ist, wie ich es bräuchte. Ich bin eine Weile still. Ich muss warten, bis die Gefahr, dass meine Tränen plötzlich hervorschießen, vorüber ist. Als ich wieder sprechen kann, ist mein Danke so leise, dass Yayeko es nicht hört.
NACHHER
Yayeko Shojis Apartment liegt im sechsten Stock (ohne Aufzug) eines Wohnhauses in Queens. Wie meines, oder vielmehr wie das meiner Eltern. Aber ihre Wohnung ist größer und schöner. Mehr Zimmer, und der Wohn-Essraum ist groß genug für ein Sofa und zwei Sessel und einen großen Tisch ohne Fahrräder darüber. Yayeko lebt mit ihrer Tochter und ihrer Mutter zusammen, die beide
gerade nicht zu Hause sind. Ihre Tochter spielt Basketball und ist beim Training. Ihre Mutter ist Rechtsanwältin und arbeitet lange.
Ich bin erleichtert. Ich will keine neuen Leute treffen. Ich bin auch so schon nervös und kribbelig genug.
»Möchtest du einen Tee?«, fragt Yayeko, nachdem sie ihre Schuhe ausgezogen und ihre Taschen weggeräumt hat. Sie bietet mir einen Platz in der Küche an. Ich setze mich. Draußen vor dem Fenster sind Bäume. Sie sind noch immer ziemlich grün.
»Ja«, sage ich. »Nein, doch lieber nicht. Haben Sie auch Kaffee? Nein, das ist keine gute Idee.« Ich stehe auf und gehe in der Küche herum. »Vielleicht Wasser?«
»Also dann Wasser. Alles okay mit dir, Micah? Tut mir leid. Natürlich ist nicht alles okay. Bist du bereit, mir zu erzählen, was eigentlich los ist?«
»Ja. Aber es ist schwer, Yayeko. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, und Sie werden so viele Fragen stellen. Ich glaube, ich zeig’s Ihnen am besten mal.« Damit ziehe ich das Testergebnis aus der Hosentasche, falte es auseinander und reiche es ihr.
»Dein DNA-Test?«
Ich nicke.
Sie öffnet den Umschlag, zieht den Bericht heraus, liest, blättert.
»Sehen Sie?«, frage ich.
Yayeko blickt mich an. »Dein Test war ungültig. Das Blut, das du eingeschickt hast, war nicht menschlich.«
»Das Blut, das ich eingeschickt habe? Sie waren doch dabei, als wir alle den Test gemacht haben. Sie haben die Proben weggeschickt. Das war mein Blut. Da steht, dass es
tierisches Blut ist. Das ist der Beweis.« Ich gehe unruhig auf und ab.
»Ungültige Testergebnisse kommen häufig vor. Was willst du damit beweisen, Micah?«
»Ich bin ein Wolf.«
Yayeko sagt gar nichts. Sie beugt sich nicht meinem wissenschaftlichen Beweis. Die Sache läuft nicht so, wie ich es geplant habe.
»Nicht immer natürlich«, sage ich. »Wenn ich meine Periode habe, verwandele ich mich in einen Wolf. Aber das tu ich nicht mehr, weil ich jetzt durchgehend die Pille nehme, so wie Sie gesagt haben. Aber das ist nicht wirklich, weil meine Periode so schlimm ist, sondern um die Verwandlung zu verhindern. Was immer die Verwandlung auslöst, es muss etwas mit den Hormonen zu tun haben, weil die Antibabypille es unterbindet.«
»Du nimmst permanent Hormone, obwohl mit deinem Menstruationszyklus alles in Ordnung ist?« Yayekos Stimme wird lauter. »Du bist erst siebzehn!«
»Ich bin nicht …«
»Du hast mich angelogen. Ich kann’s nicht glauben …« Sie hält inne, dabei schaut sie
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