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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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Wohnhauses gesehen.
    Das Mädchen blickt weiter zu Boden.
    »Antworte doch, Megan.«
    Megan murmelt etwas.
    Yayekos Mutter kommt und zieht einen Aktenkoffer auf Rollen durch die Tür. Sie trägt ein Kostüm, ist klein und zierlich und frostig höflich. Ich lächele. Sie lächelt. In
ihrer Gegenwart fühle ich mich überdimensioniert und schlecht designt. Wir essen, was der libanesische Lieferservice bringt. Danach spüle ich. Yayekos Mutter trocknet ab. Sobald das Geschirr gespült ist, verschwindet sie in ihrem Zimmer, genau wie Megan, die schon lange in ihrem verschwunden ist.
    Aus Yayekos Zimmer höre ich Telefongespräche. Zuerst ruft sie bei Mom und Dad an. Ihre Seite der Unterhaltung ist mager. Sie spricht offenbar mit Dad. Er will nicht hören, was sie zu sagen hat. Ich höre, wie Yayeko sich müht, nicht die Stimme zu erheben. Dann ist das Gespräch vorbei. Was Dad wohl gesagt hat? »Halten Sie mir dieses Monster vom Leib!« Oder Schlimmeres.
    Der nächste Anruf ist nicht kurz. Ebenso wenig wie der danach. Keiner will mich aufnehmen.
    Yayeko kommt zurück in die Küche, blinzelt mir zu und setzt sich mir gegenüber an den Tisch.
    Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll.
    Sie redet davon, das Sofa zum Bett auszuklappen, und überlegt, ob ich wieder zur Schule gehen sollte. Schließlich sind alle Schulgebühren für mich bereits bezahlt. Sie plappert immer so weiter, und ich nicke und grunze und überlege, ob ich auf die Farm zurückkehren sollte.
    Dann ändert sich ihr Tonfall. »Es ist nichts Schlechtes, ein Mädchen zu sein, Micah. Wirklich nicht.«
    »Das schon wieder«, denke ich, spreche es aber nicht aus.
    »Du musst akzeptieren, wer du bist.«
    Sie hat recht, aber nicht so, wie sie denkt.
    »Ich will kein Junge sein«, erkläre ich ihr. »Ehrlich.«
    Ich weiß nicht, was Yayeko nun denkt, das erfahre ich
erst später. Aber ich kann es euch jetzt erzählen: Sie überlegt, dass sie meine Pillen durch Zuckerpillen ersetzen will, was sie dann auch tut.
    Am dritten Tag in ihrer Wohnung verwandle ich mich.

NACHHER
    Es ist 5 Uhr früh und ich erwache aus einem Traum von Wald und Wild. Ich bin erhitzt und schwitze und weiß Bescheid.
    Ich habe die Decke zurückgeschlagen. Blutflecke auf dem Laken.
    Es juckt mich. Es ist schlimmer als Jucken, es ist, als wollte sich meine Haut von meinem Fleisch ablösen. Raue Haare haben sich auf meinen Armen, meinem Rücken, überall ausgebreitet. Mein Kopf schmerzt, meine Augen. Alles verschwimmt. Meine Muskeln tun weh und meine Knochen. Meine Zähne verschieben sich und werden größer. Mein Kiefer bricht auseinander.
    Ich rolle vom Sofa und lande schwer auf dem Boden. Die Erschütterung geht durch die ganze Wohnung.
    Ich höre Rumoren. Yayeko, ihre Tochter Megan, ihre Mutter. Ihr Atmen tut mir in den Ohren weh. Meine Hände und Füße rutschen auf dem Boden, weil es keine Hände und Füße mehr sind, sondern Pfoten und Krallen.
    Ich kauere mich zusammen, mein Rückgrat krümmt sich, wird länger. Geheul ertönt. Ich glaube, das bin ich.

    Gerüche strömen auf mich ein. Menschliche Gerüche: Salz, Schweiß, Fleisch, Blut, Angst.
    Ich rieche Beute.
    Viel Beute.
    Nach der Verwandlung bin ich immer hungrig.

MEINE GESCHICHTE
    Meine erste Erinnerung ist, wie ich in die Augen eines Wolfs blicke. Sie waren riesig und blau. Ich war noch so klein, dass ich nur das sehen konnte, als der Wolf mich anschaute, mich beschnüffelte und mich dann leckte. Ich starrte gebannt in diese Wolfsaugen hinauf.
    Allerdings war es gar kein Wolf, sondern ein Husky, der dem alten Ehepaar gehörte, das früher neben uns wohnte.
    Ich weiß noch, dass ich seinen Geruch mochte. Ich weiß, dass er vertraut roch. Ich muss noch ein Baby gewesen sein damals. Später habe ich gefragt. Meine Eltern haben mir erzählt, dass das alte Ehepaar und ihr Hund weggezogen seien, bevor Jordan geboren wurde. Bevor ich zwei wurde. »So eine Quälerei«, sagte Mom. »So einen großen Hund auf so kleinem Raum zu halten.«
    Ich frage mich, ob der Wolf in dem Hund den Wolf in mir erkannt hat.
    Es hat mich vorbehaltlos akzeptiert. Ich durfte ihn am Schwanz ziehen, mich an seinen Bauch lehnen und einschlafen.

    Wölfe lügen nicht. Und ihre Hundeverwandschaft tut es auch nicht. Wir erkennen uns gegenseitig.
    Ich habe mich nie mehr so vertraut gefühlt, bis ich Zach getroffen habe.
    Aber in ihm war nichts von einem Wolf.

NACHHER
    Ich rieche das Blut, das in den Adern der großen Frau fließt. Ich rieche es auch in den

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