Luegnerin
rausgegangen bin. Und auch nichts von dem Jungen, der mir bis nach Hause gefolgt ist. Ich erzähle ihm nichts von dem, was wichtig ist.
»Es war komisch«, sage ich, weil er etwas hören will. »Ich meine, die Beerdigung war komisch. Lauter Leute, die ich noch nie gesehen habe, und der Priester hat lauter Sachen gesagt, die ganz falsch waren. Die nichts mit Zach zu tun hatten. Es war, als hätten die ihn alle gar nicht gekannt. Sie haben alle nur über einen imaginären Zach geredet.«
»So sind Beerdigungen immer«, sagt Dad und klappt seinen Laptop zu, um mir zu zeigen, dass ich seine volle Aufmerksamkeit habe. »Alle reden über ein Idealbild des lieben Verstorbenen. Alle unschönen Seiten werden weggelassen und derjenige wird zu einem Menschen, der er nie war …«
Ich lehne mich an den Kühlschrank und stoße dabei an einen Magneten, sodass eines von Jordans blöden Kotzbildern zu Boden fällt. Ich achte gar nicht darauf. »Die Party hinterher war noch schlimmer. Ich kannte nur seine Freunde aus der Schule und von denen mag mich keiner. Und sie haben alle getrunken …«
»Aber du hast doch nicht …«, setzt Dad an.
»Nein, Dad. Natürlich nicht.« Ich darf nichts trinken, weil sie Angst haben, ich könnte dadurch zum Wolf werden, obwohl die Oldies sagen, das sei Blödsinn. Also, weitgehend Blödsinn. Großtante Dorothy konnte sich erinnern, dass es bei ihrem Großvater einmal passiert ist, aber nur ein einziges Mal, und sie kann sich nicht erinnern, dass es irgendeinem anderen Wolf jemals passiert wäre. »Ich hab bis heute noch nie auch nur einen einzigen Schluck Alkohol getrunken. Selbst wenn ich es probieren wollte, dann bestimmt nicht zwischen all diesen Idioten. Sie halten mich für ein Monster. Was ja auch stimmt, aber eben nicht so, wie sie denken. Ich kann’s kaum noch erwarten, dass ich endlich mit der Schule fertig bin«, sage ich noch und hoffe, damit genug gesagt zu haben, um Dad das Gefühl zu geben, dass wir miteinander gesprochen haben und er seine väterliche Pflicht erfüllt hat. Ich bin ziemlich sicher, dass es so abgelaufen wäre, wenn ich nach der Beerdigung mit zu Will gegangen wäre.
»Das tut mir leid«, sagt Dad. »Alles okay mit dir?«
Ich nicke. Obwohl nichts okay ist. Was er wohl sagen würde, wenn ich ihm von dem weißen Jungen und von meinem Verdacht erzählen würde?
»Deine Mutter will noch mit dir reden.«
»Ist sie im Bett?«, frage ich, obwohl das ziemlich offensichtlich ist. Schließlich gibt es keinen anderen Ort, an dem sie noch sein könnte.
»Mmmh«, nickt Dad und streckt die Hand aus, um mir auf die Schulter zu klopfen. Ich schiebe die Hand nicht beiseite, obwohl ich das gerne getan hätte. »Ist auch bestimmt alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, ja«, sage ich. »Müde.« Verwirrt, schuldbewusst, traurig, wütend, besorgt, voller Trauer. Ich bin vieles. Ich will wissen, wer dieser Junge ist, warum er mich verfolgt, was er will. Ich will wissen, ob er Zach umgebracht hat. Ich will wissen, warum.
Ich will, dass Zach lebt.
Ich klopfe an die Tür von Moms und Dads Zimmer. »Mom?«, rufe ich und gebe mir keine Mühe, leise zu sein, weil Jordan im Zimmer nebenan schläft, nur durch eine dünne Wand getrennt.
»Komm rein«, sagt Mom.
Ich öffne die Tür. Mom ist im Bett und trägt den Schlafanzug mit den Rüschen, über die wir immer beide kichern müssen. Sie klopft mit der Hand aufs Bett. Ich setze mich hin. Sie zieht mich an sich und küsst mich auf den Kopf. Mein Hals schmerzt so sehr, dass er sich ganz zusammenzieht. Einen Augenblick lang kann ich nicht atmen, die Tränen schießen mir in die Augen. Ich kann gar nicht mehr aufhören. Ich weine und weine und weine.
»Ist ja gut, ist ja gut, chérie «, sagt sie und streichelt mir übers Haar. »Ist ja gut, mein Schatz.«
VORHER
Zach und ich, wir sind nach diesem ersten Mal im Central Park noch oft um die Wette gelaufen. Das Ergebnis
stand nie in Frage. Er war schnell. Ich war schneller. Ich wusste es. Er wusste es.
Aber es war Zach, der mir gezeigt hat, wie man richtig läuft.
Neben ihm zu laufen, sich seinem Schritt anzupassen, seinen Atem zu hören, zu riechen. Ihn zu imitieren. Mir selbst beizubringen, so zu laufen wie er. Mir hatte es ja nie jemand gezeigt. Ich hatte keinerlei Technik. Von Zach zu lernen, hat mich noch schneller gemacht, weil ich all das, was Zach von seinem Trainer gelernt hat, kopiert habe: ganz leicht auf den Fersen aufzukommen, die Knie höher, längere Schritte. Die Fäuste
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