Luegst du noch oder liebst du schon Roman
mich noch mal umzusehen. Erfahrungsgemäß ist es in Situationen wie dieser ratsam, ganz klar zu kommunizieren, dass man die Grenzen des anderen, seinen Besitz, respektiert, und ihn ob seines guten Geschmacks zu loben. Andernfalls kann man schnell eins auf die Nuss kriegen. Und die Zeiten, in denen ich es auf ein maskulines Kräftemessen habe ankommen lassen, sind seit meinem Bandscheibenvorfall endgültig vorbei.
Begleitet von den Klängen des Songs »Pictures of you« brettere ich über die Autobahn, die zum Glück ziemlich frei ist. Kaum Kombis, an deren Rückwand Halterungen für Fahrräder von Großfamilien angebracht sind. Auch die Autos mit den Aufklebern »Baby an Bord« sind bereits an ihrem Ziel.
Ich summe den Song mit und bin bestens gelaunt. Es lockt ein perfekter Tag am Strand, nur ich, mein iPod, meine neue Badeshorts von Ralph Lauren und unendlich viel Ruhe. Zurück fahre ich erst, wenn der Familienpulk weg ist, um pünktlich zum Sandmännchen wieder zu Hause zu sein.
Diese abendlichen Stunden am Meer sind die schönsten. Die Strandkörbe sind leer, Möwen picken nach Essensresten und geben kreischende Laute von sich, die Sonne versinkt gemächlich im Wasser, und es duftet nach Urlaub.
Apropos: Womit belohne ich mich eigentlich, wenn ich mein Buch beendet habe? Während kleine Ortschaften, grasende Kühe und gelbe Rapsfelder an mir vorbeigleiten, schwelge ich in Urlaubsfantasien. Einziges Problem dabei: Ich war schon fast überall. Was also könnte mich noch reizen?
Ein Tauchkurs auf den Malediven?
Ein Aufenthalt in einem Zen-Kloster?
Trekking im Himalaja?
Kommt irgendwie alles nicht infrage. Tauchen kann ich, und es langweilt mich allmählich. Diese ewigen Korallenriffe und bunten Fische. Nein, von dem Nemo-Feeling habe ich genug.
Trekking ist mir zu anstrengend, und ich mag die Frauen nicht, die auf solchen Reisen häufig anzutreffen sind. Knallharte, humorfreie Emanzen, die mich entweder sofort hassen oder den lieben langen Tag irgendetwas mit mir ausdiskutieren wollen. Nein danke, ohne mich! Im Urlaub will ich meine Ruhe.
Aber brauche ich so viel Ruhe wie in einem Kloster? Sicher wäre es eine bahnbrechende Erfahrung, eine Woche lang zu schweigen, Klosterkräuter zu kauen und meinen Rücken nachts auf einem harten Steinfußboden zu malträtieren. Doch Erleuchtung hin oder her - ich bin bislang auch so ganz gut klargekommen. Diese spirituellen
Reisen ins Ich sind doch eher etwas für Banker, die gerade ihr Unternehmen in den Sand gesetzt haben und sich lieber verkriechen, statt sich von aufgebrachten Anlegern an den Pranger stellen zu lassen. Oder für Typen wie Dominic (verzeih, mein Freund!), die zuweilen ihrem Familienalltag entfliehen und einfach ungestört ihren eigenen Gedanken nachhängen wollen.
Ich brauche keine Reise ins Ich, denn ich bin mit mir im Reinen und habe meines Wissens auch keine seelischen Abgründe, die es noch zu erforschen gilt. Auch wenn Dominic gern das Gegenteil behauptet.
Wenn es nach ihm ginge, würde ich längst eine Analyse machen, um meiner Bindungsunfähigkeit auf den Grund zu gehen. Aber ich kapiere nicht, weshalb um alles in der Welt ich dreimal pro Woche meine kostbare Zeit damit verschwenden soll, auf einem Sofa zu liegen und von meiner Kindheit zu erzählen? Meine Kindheit war toll, ich wurde geliebt, verwöhnt, bin in guten Verhältnissen aufgewachsen - alles bestens. Was also soll ich bitte dem Analytiker berichten? Der fällt doch vor Langeweile vom Stuhl.
Gedankenverloren biege ich auf den Parkplatz vom Strand und habe Glück - eine Familie will gerade losfahren. Papa und Mama schleppen eine Luftmatratze, zwei riesige Kühltaschen, einen Sonnenschirm und zwei kreischende Kids zum Auto. Die Kleinen heulen um die Wette, als wollten sie einen Wettbewerb gewinnen. Mama hat schon hektische rote Flecken im Gesicht, und Papa sieht aus, als hätte er dringend einen Klosterurlaub nötig.
Hab ich es gut, denke ich, als ich seinen sehnsüchtigen Blick auf mein rotes Cabriolet erhasche, während er gramgebeugt in seinen rostigen Passat-Kombi steigt.
Minuten später mache ich es mir im Sand bequem und recke mich genussvoll der strahlenden Maisonne entgegen. Dann scanne ich meine unmittelbare Nachbarschaft.
Links neben mir liegt eine megaattraktive Dunkelhaarige mit Kurven an den richtigen Stellen und liest. Mein Blick wandert über ihren flachen Bauch, ihre wohlgeformten Apfelbrüste bis hinauf zum langen schlanken Hals, in dessen Beuge ein
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