Luegst du noch oder liebst du schon Roman
die brünette Dame Mitte vierzig, die, mit einem Audio-Guide bewaffnet, versunken vor dem Bild »Nach dem Bade« steht? Ich entscheide mich für die junge Blonde, deren Parfüm mir frisch und duftig in die Nase steigt. Eine alleinstehende Mittvierzigerin dürfte vermutlich allzu leichte Beute sein.
»Studieren Sie am Lerchenfeld?«, frage ich und betrachte die Skizze der angehenden Künstlerin. Lerchenfeld ist die Adresse für Kunststudenten in Hamburg. Wer dort aufgenommen wird, ist wirklich talentiert.
»Ja«, antwortet die Blondine mit einem kurzen Seitenblick und widmet sich weiter ihrer Tätigkeit. Der Kohlestift dreht Pirouetten auf dem Skizzenpapier.
Wie mache ich denn jetzt bloß weiter? Äh …
»Und welche Stilrichtung wollen Sie einschlagen?«
»Eine ganz neue natürlich!« Emsiges Weiterzeichnen.
Natürlich eine neue - ich Idiot! Ich vergesse gelegentlich, dass die jungen Damen von heute sich selbstverständlich zu den Alpha-Frauen zählen und uns Männer häufig eher als lästige Spezies empfinden. Wir taugen maximal noch zur Zeugung von Kindern, aber auch das lässt sich heutzutage auf anderem Wege regeln.
Ich ringe mit mir. Soll ich weiter versuchen, ihren Beziehungscode (falls sie überhaupt über einen solchen verfügt) zu knacken, oder erleichtere ich mir die Sache und wende mich dem älteren Semester zu?
Da ich heute Nachmittag noch in Eimsbüttel speed-daten muss, entscheide ich mich für die leichtere Variante. Mittlerweile hat sich die Brünette zu dem Ölschinken »Tänzerin in Blau« vorgearbeitet und denkt vermutlich gerade an längst vergangene Zeiten, in denen sie ihre einst gelenkigen Beine noch mühelos über eine Ballettstange werfen konnte.
»Haben Sie selbst auch mal getanzt?«, schreie ich gegen die Stimme des Audio-Guides an, was mir missbilligende Blicke der umstehenden Besucherinnen einbringt. Das Objekt meiner Begierde (rein beruflich, versteht sich) nimmt den Kopfhörer vom Ohr und sieht mich fragend an.
»Wie bitte?«
Ich wiederhole meine Frage, diesmal in angemessener Lautstärke, und warte darauf, dass die Dame ob meiner Schmeicheleien hold errötet.
»Ich tanze immer noch. Ich leite eine Tanzschule. Hier, meine Karte, falls Sie irgendwann Bedarf haben. Ballett ist gut für die Haltung und beugt Osteoporose vor.«
In meinem Kopf purzeln die Informationen wild durcheinander. Darf ich die Tatsache, dass sie mir ihre Karte gegeben hat, als erfolgreichen Flirtversuch werten? Aber wieso redet sie über Osteoporose-Prophylaxe? Sehe ich etwa schon so alt aus, dass ich das nötig habe? Ich trete unschlüssig von einem Bein aufs andere und versuche, einen leichten Anflug von Hypochondrie niederzuringen.
»Ist noch was?« Madame guckt so streng wie meine damalige Französischlehrerin. Offenbar ging es ihr ausschließlich um Kundenakquisition. Ihr Blick wird jedoch um einiges weicher, als ein attraktiver Herr sich ihr nähert und den Arm um sie legt.
»Schatz, da bist du ja«, flüstert er beglückt und himmelt seine Liebste an.
Dieses Experiment ist gründlich in die Hose gegangen. Unauffällig trete ich den Rückzug an und verlasse das Museum Richtung Alster. Mit einem Schlag habe ich derart miese Laune, dass ich noch nicht einmal den Drang verspüre, einen Latte macchiato im Café Liebermann zu trinken, auch wenn die Kellnerinnen dort echt schnuckelig sind.
Irgendetwas läuft seit einer Woche komplett schief mit mir und den Frauen. Wenn ich die Flops und Schlappen,
die ich seit Sonntag erlitten habe, zusammenzähle, dann gleicht die Summe in etwa der Erfolgsquote der Mannschaft von Sankt Pauli: Die gewinnen von zehn Spielen maximal eins. Mit dem holen sie dann allerdings den Tabellenführer vom Siegertreppchen.
Also muss das heutige Speed-Dating einfach mein Sankt-Pauli-Sieg werden.
Daher sollte ich mir darüber klar werden, in welcher Rolle ich im Catwalk-Café auftreten will. Will ich lieber stürmen und Tore schießen oder defensiv bleiben?
Mit dem Konzept »Einsamer Wolf« bin ich bislang eigentlich immer gut gefahren, aber vielleicht sollte ich heute auf treusorgender Familienvater machen? Ich könnte Dominic zum Vorbild nehmen und … Aber halt, stopp - das ist völliger Quatsch! Ich kann mich ja schlecht als potenzieller Ehebrecher outen und mit der Story eine Traumfrau angeln wollen.
Die Nummer mit dem treu sorgenden Vater ist aber trotzdem nicht schlecht, sinniere ich weiter, während Segelboote auf der Alster an mir vorüberziehen. Es stört lediglich
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