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Luises Schweigen

Luises Schweigen

Titel: Luises Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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zurückrufen.»
    Andererseits zahlte er ihm ein üppiges Honorar, auf das er angewiesen war, seitdem er Angelas wahnwitziger Idee nachgegeben hatte. Sie hatte sich vor vier Jahren Hals über Kopf in die wunderschön an einem in die Außenalster mündenden Kanal gelegene Villa verliebt. Das dreistöckige, schneeweiße Gebäude mit seinen fast eintausend Quadratmetern war natürlich viel zu groß für sie beide und ihre damals neun Jahre alte Tochter Hannah. Derart rationale Argumente zählten für Angela nicht. Als sie das Haus besichtigten, tanzte sie durch die Räume. Sie drehte sich, wirbelte ihren Rock auf und rief:
    «An keinem anderen Platz der Welt möchte ich wohnen.»
    Engels Einwände, die Miete fresse mehr als zwei Drittel seines Gehalts auf, konterte sie umgehend.
    «Wir wohnen im unteren Stockwerk, und oben eröffne ich eine Pension. Ganz nobel, verstehst du, nur für feine Leute.»
    Wolfram hatte noch nicht ganz aufgegeben.
    «Seit wann verstehst du etwas vom Hotelgeschäft?»
    «Ach komm, so schwer ist das nicht, das kann doch jeder.»
    Es dauerte zwar ein paar Tage, aber schlussendlich bekam Angela ihn herum ‒ wie immer. Von der Sekunde an, in der er nachgegeben hatte, plagten sie Geldsorgen, denn natürlich war der Pension «Engelshaus» nicht der wirtschaftliche Erfolg beschieden, der nötig gewesen wäre.
    Engel schreckte hoch, als der Fahrer ihn am Arm berührte
    «Sir ...! Sir, wir sind da.»
    Er war doch tatsächlich eingenickt. Inzwischen war es dunkel geworden, und das Auto parkte am Straßenrand. Er schaute aus dem Fenster und sah gesichtslose viergeschossige Häuser.
    «Und wo sind wir?»
    Engel blickte den Fahrer fragend an, der nur mit den Schultern zuckte.
    «Ich soll hier warten.»
    Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, näherte sich von vorne ein Fahrzeug, das die Lichter mehrmals hintereinander auf- und abblendete. Der Wagen drehte auf der Straße und hielt an. Die Tür öffnete sich, und eine Frau streckte ihren Kopf hinaus.
    «Mr. Engel, steigen Sie bitte ein.»
    Engel bedankte sich bei seinem Fahrer, nahm seine Tasche vom Rücksitz und schlenderte zu dem anderen Fahrzeug. Kaum hatte er sich gesetzt und die Beifahrertür geschlossen, fuhr der Wagen an.
    «Was ist denn das für eine Geheimniskrämerei?»
    «Guten Abend, Mr. Engel. Willkommen in Jerusalem.»
    Engel drehte seinen Kopf zur Fahrerin und blickte in ein attraktives, strahlendes Gesicht. Die Frau trug ihre schwarzen, schulterlangen Haare offen. Ihr Gesicht war deutlich konturiert mit hohen Wangenknochen und einem straffen Kinn. Auch wenn sie den Kopf nur für eine Sekunde zur Seite nahm, ehe sie sich wieder auf die Straße konzentrierte, erkannte Engel die glänzenden, tiefschwarzen Augen einer Frau südländischen Typs. Sie trug eine schlichte, beigefarbene Leinenbluse und Shorts, die an die kurzen Hosen von Rangern erinnerten, auf jeden Fall aber ihre wohlgeformten Beine bestens zur Geltung brachten.
    «Ich heiße Sarah und bringe Sie zu Mr. Henderson.»
    Nach kurzer Fahrt auf der breiten Straße bog Sarah in eine kleine Einbahnstraße ab und tauchte in ein Labyrinth von Gassen und Gässchen ein. Engel kannte sich in Jerusalem recht gut aus, seit seinem Studium war er regelmäßig zu Forschungsaufenthalten oder Privatbesuchen in Israel gewesen. Er wusste, dass sie sich von Norden der Altstadt näherten. Bald würde die Kuppel der Grabeskirche zu sehen sein. Sarah lenkte das Auto gelassen durch die engen Gassen, umkurvte parkende Autos, abgestellte Motorräder, an den Straßenrand gestellte Müllsäcke. Kurz bevor sie die Altstadt erreichten, stoppte sie das Auto.
    Sie nickte Engel zu und wies auf ein zweistöckiges, unscheinbares Haus, das im Untergeschoss eine Klempnerwerkstatt beherbergte.
    «Mr. Henderson erwartet Sie.»
    «Hier?»
    Das Haus passte ganz und gar nicht zum eher versnobten Briten.
    «Wissen Sie, Mr. Engel. Die wunderbarsten Dinge verbergen sich oft in einfachen Gefäßen.»
     
    ***
     
    «Wir werden das Problem auch diesmal lösen.»
    John ließ den Blick hilfesuchend an die Decke des Saales schweifen. Diese Italiener und ihr unerschütterliches Selbstbewusstsein. Sie glaubten wirklich, mit allem und jedem fertig zu werden, schließlich besaßen sie darin eine jahrtausendealte Erfahrung. Er atmete tief durch und wandte sich wieder den neun Männern zu, die sich an diesem Vormittag im Palazzo di Propaganda Fide um einen viel zu großen Tisch versammelt hatten. Der Ort war bewusst gewählt, denn obwohl

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