Luises Schweigen
die eineinhalb Jahre alte Bärbel gluckste fröhlich in ihrem Gitterbettchen.
Daut goss sich die zweite Tasse Bohnenkaffee ein - auch das ein Zugeständnis an seinen Besuch, denn es gab das kostbare Gebräu, wenn überhaupt, nur an Sonn- und Feiertagen -, als es an der Tür klopfte.
»Frau Daut, machen Sie auf!«
Er erkannte die Stimme sofort, immerhin hatte Daut zwei Jahre mit Bruno Siekmann die wenigen Verbrecher gejagt, die es in der Kreisstadt gab, ehe er 1936 nach Berlin ging. Wie lange das alles schon her war.
Als Siekmann ihn sah, verzog er den Mund zu einem breiten Grinsen.
»Mensch, Axel, du hier?«
Er schlug ihm auf die Schulter, und einen Moment fürchtete Daut, er könne ihn in einem Anflug von Sentimentalität in den Arm nehmen, aber er besann sich und sagte in dienstlichem Ton:
»Es ist leider kein schöner Anlass, der mich zu euch führt. Schulze Holtrup ist tot, liegt erschlagen in seiner Küche.«
Dauts Mutter ließ sich auf den Küchenstuhl fallen und hielt sich an der Tischkante fest.
Siekmann beeilte sich, die Situation zu entspannen.
»Ich braucht euch keine Sorgen zu machen, wir kennen den Mörder.«
Luise hatte unbemerkt die Küche betreten und ging auf Dauts Mutter zu, die vor Aufregung nach Luft rang.
»Wer ist von wem ermordet worden?«
Daut stellte zu seiner Überraschung fest, wie schön Luise selbst in Gummistiefeln und grober Arbeitsschürze war. Das rote Kopftuch konnte ihr Haar kaum bändigen, eine Strähne fiel ihr keck in die Stirn. Daut konnte dem Impuls, es aus dem Gesicht zu streichen, kaum widerstehen.
»Euer Nachbar ist tot, ihm wurde heute Nacht von seinem Franzosen der Schädel eingeschlagen.«
»Ach, den Täter habt ihr also schon?«, warf Luise schnippisch ein.
Daut spürte ihre Wut und legte ihr zur Beruhigung die Hand auf den Arm.«
»Auf jeden Fall ist dieser Serge flüchtig«, entgegnete Siekmann. »Warum sollte er weglaufen, wenn er unschuldig ist?«
»Das fragst du noch? Wenn irgendetwas passiert, wenn ein Kaninchen gestohlen oder ein Dreschflegel zerbrochen wurde, sind doch immer die ausländischen Landarbeiter schuld. Da wird doch gerne kurzer Prozess gemacht.«
Siekmann winkte ärgerlich ab und ging zur Tür.
»Ich bin nur gekommen, um euch zu warnen. Dieser Serge ist gefährlich, und er steckt doch ständig mit euren Polen zusammen. Aber ihr fraternisiert ja gerne mit denen herum.«
Bevor Luise antworten konnte, verließ der Polizist grußlos das Haus.
Es war also stadtbekannt, dass die Fremdarbeiter auf dem Bauernhof seines Vaters besser behandelt wurden, als es erlaubt war. Daut hatte sich am Abend zuvor noch beherrscht und geschwiegen, als Zygmunt und Jadwiga, die sein Vater nur Siggi und Jaga nannte, am Tisch mit der Familie aßen, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Jetzt konnte er sich nicht länger zurückhalten.
»Ihr müsst vorsichtiger sein, sonst bekommt ihr eines Tages gewaltigen Ärger.«
Luise riss sich das Tuch vom Kopf und schüttelte energisch ihre Haare.
»Was soll das heißen? Du weißt genau, Axel, dass Vater die Arbeit ohne Zygmunt niemals schaffen könnte, und Jadwiga ist als Magd genauso unersetzlich.«
»Aber deshalb müsst ihr sie doch nicht wie Familienmitglieder behandeln!«
Dauts Mutter hatte sich von ihrem Schock erholt und stand auf, den Stuhl dabei entschlossen zurückschiebend.
»In diesem Haus gibt es keine Menschen erster und zweiter Klasse, in diesem Haus wird jeder Christenmensch gleich behandelt. Das solltest du wissen, mein Sohn.
Daut stapfte über den Feldweg zum Nachbarhof. Die Stimmung zu Hause war nach Siekmanns Besuch zum Schneiden. Luise war zum Schluss wutentbrannt aus der Küche gerannt, nachdem sie ihm entgegengeschleudert hatte:
»Du hast immer noch nichts begriffen, Axel.«
Im Grund hatte sie ja recht. Ohne die Fremdarbeiter wäre die Arbeit auf dem Hof nicht zu schaffen. Deutsche Knechte und Melker gab es in diesem dritten Kriegsjahr nicht mehr, die lagen an einer der Fronten im Dreck. Und die beiden waren nett und verstanden etwas von Landwirtschaft und Haushaltsführung. Zygmunt hatte ausgiebig mit seinem Vater über die Ferkelaufzucht debattiert und Jadwiga der Mutter in der Küche geholfen. Er nahm sich vor, seine Arroganz abzulegen und freundlicher zu ihnen zu sein.
Vor dem Wohnhaus von Schulze Holtrup stand ein DKW F7. Daut kannte nur einen, der ein solches Auto fuhr, und fragte sich, was der alte Doktor hier zu tun hatte. Die Haustür war nur
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